Vorwort von Elke Boudier, Stellvertretende Landesvorsitzende, in der neuen SLLV-Zeitschrift „Lehrer und Schule heute“
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zurzeit empfinde ich unsere Schulen als Spielball zwischen Coronakrise, räumlicher, sächlicher Ausstattung der Schulen, Personalnöten, Digitalisierung und brüchigem Schulfrieden. Das sind eindeutig zu viele Baustellen, um der Situation noch gerecht werden zu können! Da kommt es nicht von ungefähr, dass sich die engagierten Schulbediensteten bereits wenige Wochen nach Unterrichtsbeginn ausgelaugt fühlen. Dies kann nicht ungestraft über lange Zeit gut gehen. Natürlich sind da diejenigen, die darauf hinweisen, dass bald schon wieder Herbstferien sind. Niemand spricht aber von der Vielzahl der Kolleginnen und Kollegen, die im laufenden Unterrichtsgeschehen kaum mehr zu Korrekturen der Klassenarbeiten kommen und dies in die Ferien verlagern, um in Ruhe und an einem Stück den Arbeiten ihrer Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Dies ist sicherlich nicht nur eine Vorgehensweise der älteren Lehrkräfte, sondern trifft auch auf viele junge Kolleginnen und Kollegen zu. Es ist aber konträr zum benötigten Abschalten und Krafttanken.
Unsere Schülerinnen und Schüler brauchen Kontinuität und Verlässlichkeit; das hat Corona gezeigt. Kolleginnen und Kollegen berichten von den unterschiedlich weiterentwickelten Kindern. Die einen sind nach der Zeit des Homeschoolings einfach nur froh, wieder direkten Kontakt zu Mitschülern und Lehrern zu haben, andere haben sich so weit von der Schule entfernt, dass einfachste Strukturen verloren gegangen sind, wie das pünktliche Aufstehen, um rechtzeitig in die Schule zu kommen, oder das Packen der Schultasche oder das Herauslegen der Materialien für die kommende Stunde. Das ist nicht auf Grundschulkinder beschränkt!
Kolleginnen und Kollegen brauchen Kontinuität! Da verwunderte es doch, dass ausgerechnet in dieser Zeit der Unsicherheit die Debatte um G8 und G9 an Gymnasien wieder aufflammte, und noch mehr, dass die Politik sich nicht ohne Wenn und Aber klar für den einstmals von ihr favorisierten Weg für das G9 an Gemeinschaftsschulen und beruflichen Schulen starkmachte. Beide Schulformen bieten seit Jahren dasselbe gleichwertige Zentralabitur an, wie es an Gymnasien abgelegt wird. Diese Schulen arbeiten verstärkt an der so oft geforderten Bildungsgerechtigkeit und diese gilt es zu fördern! Es ist unstrittig, dass Gemeinschaftsschulen eine Vielzahl von Schülerinnen und Schülern zu einem höheren Bildungsabschluss bringen, als es ihnen nach Ende der Grundschulzeit prognostiziert wurde. Im heutigen Leben geht es nicht mehr allein um reine Studierfähigkeit, sondern auch um die Allgemeine Hochschulreife als Voraussetzung für die unterschiedlichsten Berufe. Wenn die Vorurteile gegenüber der Gemeinschaftsschule
in Gesellschaft und Politik immer noch so fest verankert sind, dann muss dieser Schulform gerade aufgrund ihrer Leistungen verstärkt Förderung zuteilwerden, um ihre Attraktivität und Akzeptanz nach außen und innen zu steigern! Hierzu zählen unter anderem die vollumfängliche Umsetzung der Funktionsstellenstruktur sowie kleinere Klassen beziehungsweise Kurse wegen der heterogeneren Schülerschaft. Wir brauchen endlich die von uns geforderte Beratungs- oder Systemzeit! Zudem muss das Ministerium immer und immer wieder in der Öffentlichkeit klarstellen, dass Schülerinnen und Schüler im Saarland an Gemeinschaftsschulen, beruflichen Schulen und Gymnasien das gleiche Zentralabitur ablegen!
Die vom Philologenverband geforderte Ausweitung der Lernzeit an Gymnasien, der Einsatz von Schulhelfern, der verstärkte Informatikunterricht oder die Mehrsprachigkeit sind Formen benötigten Wandels der Schulen, um nah an der Lebenswirklichkeit zu bleiben. Dieser Weg ist aber unstrittig von allen Schulformen zu beschreiten! Es wird zu Recht von allen Seiten auf die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft im Allgemeinen hingewiesen. Das Geld,
das verstärkt in Bildung gesteckt wird, um die unterschiedlichsten Defizite abzubauen, erspart einige Jahre später erhöhte Folgekosten, die durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen entstehen können. Jeder von uns kennt die Studien, die belegen, dass höhere Bildung mit niedriger Arbeitslosenquote korreliert. Es kann nicht sein, dass nach der Grundschule zuerst strengere Kriterien für den Übergang zum Gymnasium eingeführt werden, um sich dann zu
Anfang der gymnasialen Oberstufe wieder der Schülerinnen und Schüler zu bedienen, die ihren Weg an anderen Schulformen erfolgreich absolviert haben. Sie haben oft einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem klassischen Gymnasiasten: Da ihre Vita oftmals nicht so eindeutig war,
haben sie sich schon „durchgeboxt und Biss bewiesen“. Eine Fähigkeit, die für das ganze Leben wichtig ist. Strukturwandel und andere Faktoren erfordern heute viel mehr Flexibilität als früher und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Die Anzahl derjenigen, die einen Beruf erlernen und diesen dann lebenslang ausüben, wird geringer. So haben alle recht, die dafür plädieren, dass die Schule ihren Absolventinnen und Absolventen mehr digitale Bildung zur Verfügung stellen muss. Die Gelder, die durch den Digitalpakt zur Verfügung gestellt werden, sind dabei eine große Hilfe. Aber wie lange dauert es, bis die räumlichen, sächlichen und personellen Gegebenheiten wirklich für alle gegeben sind? Die Studienkombination von Informatik und Schulfach ist bislang eher die Ausnahme. Sicherlich gibt es technikaffine Kolleginnen und Kollegen, aber wie lange dauert es, bis die Vielzahl von Lehrerinnen und Lehrern ihren Schülerinnen und Schülern nicht mehr technisch unterlegen ist? Und das liegt nicht an mangelnder Bereitschaft vonseiten der Lehrerschaft! Wie bei unseren Schülerinnen und Schülern bedarf es konstanter Übungsphasen und es ist nicht hilfreich, wenn man in dieser Zeit mit unterschiedlichsten Computern oder Laptops oder Tablets zu tun haben sollte, weil die Anschaffungen aufgrund europaweiter Ausschreibungen in unterschiedlichen Chargen erfolgen. Es braucht digitale Mindeststandards: Schule braucht einen digitalen Referenzrahmen, der für alle an Schulen Beteiligten Orientierung, Verbindlichkeit und Sicherheit bietet. Das heißt, zwischen allen Schulakteuren muss eine Verständigung auf einen Digitalisierungsmindeststandard erfolgen, hinsichtlich Technik, Pädagogik, Didaktik, Aus-, Fort- und Weiterbildung. Dieser Referenzrahmen muss regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden. Dabei müssen die spezifischen Anforderungen der verschiedenen Schulformen berücksichtigt werden. Es braucht eine digitale Grundausstattung: Internetverbindungen unter Einhaltung notwendiger Mindeststandards hinsichtlich Stabilität und Geschwindigkeit an allen Schulen. Schulen benötigen kontinuierlichen, professionellen und zuverlässigen Support bei der Installation und Wartung der schuleigenen IT-Ausstattung durch Systemadministratoren beziehungsweise IT-Fachkräfte, bei denen es sich um für diesen Bereich ausgebildetes Personal handeln muss! Um Innovationen zu fördern, braucht es an Schule entsprechende Zeitkontingente für die (digitale) Schulentwicklung. Wir brauchen den Auf- und Ausbau eines verpflichtenden Studienfachs „Digitale Bildung“, welches spezifisches Wissen und spezifische Kompetenzen zum digitalen Lehren und Lernen vermittelt. Themen wie Medienbildung, Mediendidaktik, Medienpädagogik und Medienkompetenz müssen fest im Curriculum verankert werden. Der Einsatz und die Verwendung digitaler Medien muss zudem Bestandteil der Lehrkräfteausbildung in allen Fächern sein.
Wir müssen uns vielfachen Anforderungen stellen, umso mehr brauchen wir Entlastung!
Bleiben Sie gesund!
Mit kollegialen Grüßen
Elke Boudier,
Stellvertretende Landesvorsitzende
Referentin für Gemeinschaftsschule