Macht der Gewohnheiten Positive Routinen statt negativer Gedankenfallen
Fragst du dich manchmal, weshalb es keinen praktischen „Ausschalter“ gibt, um negative Gedanken im Schulalltag zu stoppen? Falls es dir so geht wie mir: ein klares Ja. Wir Menschen neigen dazu, uns in negativen Gedanken zu verlieren. Es ist jedoch möglich, das zu ändern – das Zauberwort heißt neue Routinen.
WO DIE GEDANKEN ENTSTEHEN
Lass uns als Erstes einen Blick auf den Ort werfen, an dem die negativen Gedanken entstehen: Das Gehirn ist schon ein spezielles Organ. Es vollbringt enorme Leistungen. Doch vor allem ist es ein Energiefresser. Was das mit negativen Gedanken zu tun hat, erfährst du gleich.
Obwohl das Gehirn nur ungefähr zwei bis drei Prozent des menschlichen Körpergewichts ausmacht, verbraucht es rund 20 Prozent an Energie. Kein Wunder – dein Gehirn hat schließlich zahlreiche Aufgaben zu erledigen. Denken ist jedoch nur eine davon.
Den Großteil der Energie benötigt das Gehirn dafür, um deine körperlichen Grundfunktionen aufrechtzuerhalten: Atmung, Regulierung der Körpertemperatur, Blutkreislauf und Verdauung.
Dein Gehirn kann sich Energiemangel unter keinen Umständen leisten. Um Energie zu sparen, hat es daher kluge Mechanismen entwickelt. Einer dieser Mechanismen heißt: Routinen[1]
DIE MACHT VON ROUTINEN
Eine Routine ist zunächst einmal eine Handlungsabfolge, die uns zur Gewohnheit geworden ist. Wenn wir eine Handlung also immer wieder durchführen, wird diese Aktion irgendwann zur Routine.
Ein Beispiel dafür ist Auto fahren: Die ersten Fahrversuche waren in der Regel holprig. Ich weiß nicht, wie es dir ging. Doch in meiner ersten Fahrstunde hatte ich das Gefühl: Das wird nie was.
Und heute? Auto fahren ist ein Prozess, der in großen Teilen unbewusst abläuft. Kein bewusster Gedanke mehr daran: „Huch, da war doch was mit dem Schulterblick?!“ Das passiert automatisch. Denn durch zahlreiche Wiederholungen sind Routinen entstanden.
An diesem kurzen Beispiel wird deutlich: Routinen machen uns das Leben leichter. Ob Zähne putzen, Romane lesen oder Essen kochen: Wir wären heillos überfordert, wenn wir uns über jede unserer Handlungen bewusst Gedanken machen würden.
Durch Routinen hat unser Gehirn die nötige Energie, um sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, auf die es ankommt: anspruchsvolle Denkaufgaben bewältigen, etwas planen oder organisieren.
Wie so oft im Leben, hat auch diese Medaille zwei Seiten. Ja, Routinen erleichtern das Leben. Doch es gibt eben auch Routinen, die alles andere als nützlich oder wünschenswert sind.
Ob es der automatische Griff zur Zigarette in der Kaffeepause ist oder der Griff zur Chipstüte, sobald du abends auf dem Sofa sitzt: Routinehandlungen laufen wie ein automatisches Programm ab. Auch negative Denkmuster sind nichts anderes als Routinen. Negative Gedanken laufen also ebenfalls meistens automatisch ab und sind daher oft schwer zu stoppen.
Bis unser Bewusstsein kapiert, was da abläuft, stecken wir schon mittendrin in negativen Gedanken oder mit der Hand in der Chipstüte.
Routinen werden in den sogenannten Basalganglien gespeichert. Das ist eine Hirnstruktur, die tief im Inneren des Gehirns unter der Großhirnrinde sitzt. Die Basalgang-lien sind unter anderem dafür verantwortlich, motorische und kognitive Funktionen zu regeln. Wenn eine Gewohnheit erst einmal in die Basalganglien gerutscht ist, ist sie dort als fester Ablauf verankert – und eine derart festsitzende Routine zu verändern, ist mühsam.
NEGATIVE DENKROUTINEN STOPPEN: WIE GEHT’S?
Du brauchst vor allem Geduld, eine klare Motivation – und eine alternative Handlung. Um eine negative Routine zu stoppen, ist vor allem eine „Ersatzhandlung“ unerlässlich. Einfach nur etwas weglassen, ohne einen Ersatz zu haben, würde bloß dazu führen, dass dein Gehirn streikt. Es „hängt“ an den gespeicherten Routinen und wird sich mit aller Kraft dagegen wehren, sie loszulassen.
Daher: Um eine Routine loszuwerden, mache dir zuerst klar, welche neue, erwünschte Routine du stattdessen etablieren möchtest. Also zum Beispiel: „Positive Denkmuster verstärken.“ Die Gelegenheit, positives Denken zu üben, haben wir jeden Tag.
Das Blöde: Ein großer Teil unserer Gedanken ist neutral oder negativ.
Dazu ein kurzes Beispiel aus einem meiner Workshops:
„Wenn auf meinem Schreibtisch in der Schule ein Zettel liegt: ‚Schulamt zurückrufen‘, bekomme ich jedes Mal Puls.“ Diesen Satz seufzte ein Schulleiter während eines Resilienzworkshops. Immer, wenn er in seinem Büro einen Zettel mit dieser Aufschrift findet, läuft sein Kopfkino zur Höchstform auf. Und selbstredend, dass es ausschließlich Filme mit düsterer Handlung entwirft. Er kann seine negativen Gedanken dann kaum stoppen.
Zunächst einmal ist da nur dieser harmlose Notizzettel mit einer neutralen Info. Doch das menschliche Gehirn ist unerbittlich: Es entwirft im Handumdrehen ein negatives Szenario. Dem Schulleiter fielen auf einen Schlag etliche negative Dinge ein, die sein Rückruf mit sich bringen würde. Als er genauer darüber nachdachte, fiel ihm auf: Die überwiegende Mehrzahl aller Telefonate, die er in den vergangenen Jahren mit dem Schulamt geführt hatte, waren angenehm und konstruktiv – in der Wirklichkeit also keine Spur von Horrorszenen.
UNSER GEHIRN LIEBT KATASTROPHEN
Woher kommt es, dass wir mit schöner Regelmäßigkeit so viele negative Gedanken haben und uns so oft wie möglich lieber ein möglichst schlimmes Szenario vorstellen?
Im Grunde ist es eine beachtliche und kreative Leistung unseres Gehirns, verschiedenste Zukunftsszenarien zu erfinden. Unser Gehirn kann sich Dinge vorstellen, die es nicht gibt. Es kann aberwitzige und kühne Fantasien entwickeln. Das ist eine wichtige Fähigkeit, denn mit ihrer Hilfe entstehen neue Ideen, Erfindungen, motivierende Zukunftsvisionen.
Doch wir haben von Natur aus ein katastrophisches Gehirn. Damit ist die Neigung unseres Gehirns gemeint, sich auf Probleme und Gefahren zu fokussieren. Wir Menschen sind darauf geeicht, ständig auf Problemsuche zu sein.
Das macht aus evolutionärer Sicht auch vollkommen Sinn. Beim kleinsten Rascheln im Gebüsch war es für unsere steinzeitlichen Vorfahren sinnvoll, die Flucht zu ergreifen: „Lieber auf das Mittagessen verzichten als selbst zum Mittagessen werden.“
NEGATIVE GEDANKEN GEHÖREN DAZU
Was mir an dieser Stelle wichtig ist: Es geht nicht darum, negative Gedanken vermeiden zu wollen. Mal abgesehen davon, dass das nicht möglich ist, es wäre auch gar nicht sinnvoll: Denn negative Gedanken gehören zum Leben und haben eine wichtige Funktion. Sie machen uns auf mögliche Gefahren aufmerksam.
Es geht also nicht darum, jeden einzelnen negativen Gedanken bissig zu verfolgen und ausmerzen zu wollen. Es geht darum, negative Denkmuster zu erkennen und nach und nach zu verändern. Denkmuster, die dich in Grübelschleifen und negativem Kopfkino festhalten.
Welches sind deine „Top 10 der negativen Gedanken“?
Erstelle dazu eine Liste. Nimm dir dafür gern etwas Zeit und beobachte dich über mehrere Tage: Welche negativen Gedanken tauchen immer wieder auf?
Vielleicht etwas wie: „Mir ist alles zu viel.“ „Mein Job ist blöd.“ „Andere haben ein besseres Leben als ich.“ „Mein Hintern ist zu dick.“ „Es wird sich ja doch nichts ändern.“
NEGATIVE GEDANKEN1 VERÄNDERN UNSER GEHIRN
Doch (häufige) negative Gedanken fühlen sich nicht bloß unangenehm an. Sie führen zu Stress, und zwar auf allen Ebenen: körperlich, geistig, seelisch, emotional. Wir entwickeln womöglich Symptome wie Schlaflosigkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen. Wir fühlen uns niedergeschlagen und hoffnungslos.
Ein weiterer Grund: Negative Denkmuster verändern unser Gehirn. Wir wissen inzwischen, dass allein unsere Gedanken die Fähigkeit haben, die physische Struktur unseres Gehirns zu beeinflussen.
Das zeigt, wie kraftvoll unsere Gedanken sind und dass Ratschläge wie „Denk doch mal positiv!“ alles andere als hilfreich sind und ins Leere laufen. Wenn wir häufig bestimmte negative Gedanken haben, verstärken sich im Gehirn die entsprechenden neuronalen Netze.
Nun ist es so, dass ein solches Netz nicht einmal im Leben geknüpft wird – und das wäre es dann gewesen. Nein, in den neuronalen Netzen ist Bewegung drin. Wenn Synapsen häufig benutzt werden – dann verändert sich ihre Struktur.
Das heißt, wenn du bestimmte neuronale Verbindungen nicht mehr nutzt – dann werden sie schwächer und schwächer. Im Gehirn herrscht nämlich ein reges Kommen und Gehen: Die sogenannte Synapseneliminierung sorgt dafür, dass nicht benötigte Synapsen absterben. Das hört sich vielleicht etwas unheimlich an, ist jedoch ein natürlicher Ausleseprozess: Was benutzt wird, bleibt – alles andere wird entrümpelt.
Du kannst den Mechanismus der Synapseneliminierung also aktiv für dich nutzen, um negative Denkmuster zu verändern.
Entwickle positivere Denkmuster
Du hast nun deine Top 10-Liste erstellt oder du ertappst einen negativen Gedanken „auf frischer Tat“? Dann habe ich drei Impulse für dich, wie du deinem Gehirn helfen kannst, negative Gedanken zu stoppen.
Impuls Nr. 1:
Was würde deine beste Freundin, Pippi Langstrumpf oder dein Lieblingskollege in dieser Situation sagen?
Befrage gedanklich eine Mentorin oder einen Mentor: Was würde diese Person zu diesem Gedanken sagen? Fühl dich frei, ein Idol deiner Kindheit, deinen Lieblingssportler oder eine Romanheldin als Mentor:in zu wählen! Tauche gedanklich kurz in die Rolle dieser Person oder Figur. Und dann hör mal hin, was sie dir zu deinem negativen Gedanken zu sagen hat.
Impuls Nr. 2:
- Ist dieser Gedanke nützlich?
- Was bringt dir diese Frage?Indem du dich fragst, ob der Gedanke nützlich ist, hinterfragst du, ob er für deine momentane Situation förderlich ist. Wir nehmen unsere Gedanken oft für bare Münze. Frage dich daher:
- Wofür ist dieser Gedanke gut?
- Hilft mir der Gedanke dabei, eine Situation gut zu bewältigen?
- Hilft mir der Gedanke dabei, ein wichtiges Ziel zu erreichen?
- Führt dieser Gedanke irgendwohin?
- Oft wird die Antwort dann „nein“ lauten. So kannst du den Gedanken leichter loslassen, weil du erkennst, dass er einfach nicht hilfreich für dich ist. Nach dem Prinzip: „Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht.“ Das gilt eben auch für Gedanken.
Impuls Nr. 3:
Gib deinem Gedanken einen Namen und höre ihm zu.
Was bringt dir dieser Impuls?
Es hilft ungemein, unliebsamen Gedanken einen Namen zu geben und ein fiktives Gespräch mit ihnen zu führen. Wie wäre es mit Rudi, Frau Oberschlau oder Wilma?
Wenn du einen Namen gefunden hast, dann sprich deinen Gedanken an: „Hallo Frau Oberschlau, da sind Sie ja wieder. Danke für diesen Gedanken. Ich weiß, dass Sie mir damit behilflich sein möchten. Doch ich bitte Sie um Verständnis, dass ich in dieser Angelegenheit einen anderen Gedanken befragen werde. Noch einmal danke für Ihr Engagement, Sie sind ja wirklich immer zur Stelle. Doch nix für ungut, ich höre heute nicht auf Sie.“
WIE KANNST DU NEGATIVE GEDANKEN IN POSITIVE(RE) UMWANDELN?
Schritt 1: Bemerke deine negativen Denkmuster
Dieser Schritt ist nicht immer einfach, weil sich die negativen Muster so vertraut und gewohnt anfühlen. Um zu erkennen, dass du in negativen Denkmustern steckst, benötigst du einen gewissen Abstand zwischen dir und deinen Gedanken. Klingt komisch, ich weiß. Ich erläutere dir, was ich damit meine.
Im Alltag befinden wir uns meistens in einer Fusion mit unseren Gedanken. Dieser Begriff aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie bedeutet, dass Menschen mit ihren Gedanken verschmelzen. Wir glauben unseren Gedanken und hinterfragen sie nicht.
«Dabei sind Gedanken erst einmal nichts weiter als Konstrukte unseres Denkapparats. Und diese Konstrukte können total daneben liegen, gemein, verletzend und verallgemeinernd sein. Unser Denkapparat ist alles andere als unfehlbar.»
Wir können glücklicherweise auf Abstand zu unseren Gedanken gehen. Das hört sich zunächst merkwürdig an, ist jedoch der Schlüssel dafür, negative Gedanken zu stoppen. Denn wenn ich bemerke, dass mein negativer Gedanke nur ein Gedanke ist und nicht die Realität selbst – dann schenkt mir das eine unglaubliche Freiheit. Ich habe dann die Freiheit zu entscheiden:
- Glaube ich diesem Gedanken?
- Will ich weiter über ihn nachdenken?
- Will ich ihm Taten folgen lassen?
- Oder will ich bewusst etwas tun, das im Widerspruch zu diesem Gedanken steht?
Die Fähigkeit, auf Abstand zu den eigenen Gedanken zu gehen, kannst du lernen. Dieses Auf-Abstand-Gehen zu den eigenen Gedanken wird Defusion genannt.
Es gibt zahlreiche Techniken, mit denen die Defusion geübt werden kann. Ich beschreibe dir mal eine wunderbare Möglichkeit, um Distanz zwischen dir und deinen Gedanken herzustellen: die Top 10-Liste.[6]
Literaturverzeichnis
[1] Ewert, Katrin (19.03.2020): Warum unser Gehirn Routinen liebt. In: Planet Wissen. https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/gewohnheiten/gewohnheiten-hirnforschung-100.html (Stand: 03.07.2023).
[2] Craig, Anne (13.07.2020): Discovery of ‘thought worms’ opens window to the mind. In: Queen’s Gazette, Queen’s University. https://www.queensu.ca/gazette/stories/discovery-thought-worms-opens-window-mind (Stand: 03.07.2023).
[3] Pascual-Leone, Alvaro u. a. (2005): The Plastic Human Brain Cortex. In: Annu. Rev. Neurosci. https://www.runi.ac.il/media/kdwprjiw/46b504_9b7d2abfcfa342749ab270827db87235.pdf (Stand: 03.07.2023).
[4] Das Gehirn (o. D). In: Max-Planck-Gesellschaft. https://www.mpg.de/gehirn#:~:text=Schließlich%20sitzen%20bis%20zu%2010.000,die%20weit%20voneinander%20entfernt%20sind (Stand: 03.07.2023).
[5] Sältz, Martje (29.05.2022): Neuronale Netzwerke oder „Wie funktioniert das Gehirn?“ In: Scilogs. https://scilogs.spektrum.de/hirn-und-weg/neuronale-netzwerke-oder-wie-funktioniert-das-gehirn/ (Stand: 03.07.2023).
[6] Wengenroth, Matthias (2022): Das Leben annehmen. So hilft die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). 3. Aufl., Bern: Hogrefe.
Die Autorin
Bianca Kaminsky arbeitet als Resilienztrainerin, systemische Team Coachin und Autorin. Doch vor allem ist sie Pädagogin und hat nach ihrer Zeit als Grundschullehrerin zunächst den Lernbiene Verlag gegründet. Heute ist sie als Trainerin und Coachin tätig und unterstützt Menschen in pädagogischen Berufen dabei, die Anforderungen ihres Berufs zu meistern. Sie gibt Workshops und Tutorials für Lehrkräfte – online und vor Ort – und veröffentlicht Ratgeber und Unterrichtsmaterial zum Thema Resilienz.
