LuSh – Ausgabe – 11-12/23
IGLU, PISA & Co – das Kreuz mit den Kernkompetenzen
Seit Jahren, eigentlich seit Jahrzehnten ist im Land der Aufschrei groß, wenn IGLU, PISA & Co ihre aktuellen Ergebnisse bzgl. der Lese-, (Recht-)Schreib- und Rechenkompetenzen deutscher Grundschülerinnen und Grundschüler veröffentlichen. Der Aufschrei ist nachvollziehbar, denn diese Schlüsselqualifikationen sind nicht nur für die weiteren Schullaufbahnen der Kinder grundlegend, sondern auch Voraussetzung dafür, dass jene später als mündige Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und dieses mitgestalten können. Dennoch verwundert der Aufschrei ein wenig, denn dass unsere Grundschülerinnen und Grundschüler in Sachen Basiskompetenzen im internationalen Vergleich schlecht abschneiden, hat in Deutschland bereits mehr Tradition als RB Leipzig und stellt schon lange keine Momentaufnahme mehr dar.
Nun steht, IQB sei Dank, das Thema auch medial im Mittelpunkt und es wird viel über die Gründe für das schlechte Abschneiden diskutiert und spekuliert. Politikerinnen und Politiker aller Parteien sowie Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen äußern sich, kommentieren, debattieren und diskutieren über Schule, Bildung und Unterricht. Es wird dabei viel über Lehrkräfte geredet – leider nur sehr wenig mit Lehrkräften. Dabei könnte jede Grundschullehrkraft die Frage nach den Ursachen für diesen besorgniserregenden Trend schnell beantworten: Die Grundschule kann ihre eigentliche Kernaufgabe nicht ausreichend wahrnehmen.
Gesellschaft, Erziehung, Kindheit usw. verändern sich rasend schnell. Entsprechend bringen die Kinder auch in puncto Basiskompetenzen höchst unterschiedliche Voraussetzungen mit in die Schule. Dieser Heterogenität unter den gegebenen Rahmenbedingungen gerecht zu werden, ist schon seit Jahren ein Ding der Unmöglichkeit. Immer mehr Kinder brauchen eine individuelle Förderung, die sich an ihrem Entwicklungsstand in Sachen Lesen, (Recht-)Schreiben und Rechnen orientiert. Dies setzt fundierte Diagnostik voraus und bedeutet ein hohes Maß an Individualisierung, was im Unterrichtsalltag der Grundschule nicht so einfach zu leisten ist, erst recht nicht, wenn es einfach obendrauf gepackt wird auf alles, was den Grundschullehrkräften sowieso schon zusätzlich aufgebürdet wurde und wird.
Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass das MBK aktiv wird und das Thema Basiskompetenzen mit der Initiative BASIS (Basale Kompetenzen an saarländischen Grundschulen individuell stärken) angeht. Die für alle Grundschulleitungen verpflichtende Fachtagung und der daran anknüpfende zusätzliche pädagogische Tag für alle Grundschulen sind (trotz des Mehraufwandes) grundsätzlich zu begrüßen. Entscheidend ist jedoch, dass im nächsten Schritt die Grundschulen tatkräftig bei der Umsetzung unterstützt werden. Gerade wenn es um die Förderung von Basiskompetenzen geht, ist neben Know-how und geeigneten Materialien eines unabdingbar: Kapazitäten fürs Kerngeschäft!
Die Förderung von Basiskompetenzen ist ganz nebenbei keine Angelegenheit, die allein der Grundschule obliegt. Dieses Thema stellt eine Herausforderung an die gesamte Gesellschaft dar. Hier sind wir alle gefordert:
- die Eltern, denn was früher gang und gäbe war, ist heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr (z. B. Vorlesen). Hier muss Aufklärungsarbeit geleistet werden.
- die Kindergärten, denn die Entwicklung von Basiskompetenzen beginnt nicht erst in Klasse eins. Wichtige Vorläuferfertigkeiten erleichtern den Kindern den Start ins Schulleben maßgeblich.
- wir Lehrkräfte, denn unsere Methoden und Materialien sollten wissenschaftlich fundiert und auf ihre Wirksamkeit hin empirisch überprüft sein. So ist es beispielsweise unverantwortlich, die Kinder mit einer Anlauttabelle sich selbst zu überlassen und bis Klasse vier nach Gehör schreiben zu lassen.
die Bildungsministerin, denn wir brauchen nicht nur dringend bessere Rahmenbedingungen an den Grundschulen (v. a. mehr Personal und kleinere Klassen), sondern auch mehr gut ausgebildete Förderschullehrkräfte. Die diagnosegeleitete Förderung von Basiskompetenzen ist genuin sonderpädagogisches Terrain (Förderschwerpunkt Lernen). Die Implementierung dieser Expertise in die Regelschulsysteme muss in Form von tragfähigen und praktikablen Förderkonzepten an den Schulen institutionalisiert werden.
Nur wenn ein Rädchen ins andere greift, werden wir diese Herausforderung, deren Ausmaß leider immer noch unterschätzt wird (Stichworte: Mündigkeit, Aktivität und Teilhabe), meistern können. Als Förderschullehrer mit dem Förderschwerpunkt Lernen verfolge ich die Debatte seit Jahren mit großem Interesse. Als Ihr neu gewählter Fachreferent für Sonderpädagogik werde ich auch die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen.
Der nächste Aufschrei ist übrigens Mitte 2024 zu erwarten, dann werden die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 vorgestellt.
Mit kollegialen Grüßen
Dominik Schwer
stellv. Landesvorsitzender