LuSh – Ausgabe 09/2021 – VBE-Bund – Wenn der Leitartikel zum Leidartikel wird …
Wenn der Leitartikel zum Leidartikel wird …
Das Schuljahr 2020/2021 ist zu Ende gegangen. Eingestiegen sind wir mitten in der laufenden Corona-Pandemie. Gebeutelt von Hygienevorschriften, neuen Pflichten und Aufgaben, außergewöhnlichen Unterrichtsformen und vor allem unvorstellbaren Belastungen auf allen Seiten. Ob Schülerinnen und Schüler, ob Eltern, ob Lehrkräfte, alle an Schule Beteiligten waren in dem zurückliegenden Schuljahr erneut bis an ihre Grenzen gefordert. Und dennoch schien nach der Rückkehr in den vollständigen Präsenzbetrieb und den gleichzeitig sinkenden Inzidenzwerten ein allseits aufkommendes Aufatmen und eine Befreiung aus der Umklammerung möglich.
Und dann kam die Nacht auf den 15.07.2021. Es begann mit Dauerregen, der sich schließlich zu einem unvorstellbaren Starkregen ausweitete. Unglaubliche Wassermassen drängten von den Bergen der Eifel in die Täler. Durch den Dauerregen zuvor war der Boden bereits voller Wasser und der Starkregen bahnte sich gnadenlos seinen Weg
über die Oberfläche. Die kleinen Bäche wuchsen zu reißenden Flüssen heran. Alles, was im Weg stand, wurde mitgespült, erst Schotter und leichtes Geröll, später ganze Baumstämme. In den Senken staute sich alles dann weiter meterhoch und zerstörte Häuser, Brücken und damit zahlreiche Existenzen. Diejenigen, die sich selbst retten konnten oder durch Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes gerettet wurden, haben zum Teil alles verloren; nicht nur das Dach über dem Kopf, sondern auch alle persönlichen Dinge sind auf einen Schlag unwiederbringlich von den Wassermassen hinweggerissen worden. Darüber hinaus sind auch viele Tote zu beklagen und die Zahlen steigen stündlich an.
Als ehrenamtlicher Leiter der psychosozialen Notfallversorgung des DRK im Eifelkreis Bitburg-Prüm und Schulleiter einer Grundschule im Eifelkreis habe ich den Spagat zwischen beruflicher Verpflichtung und ehrenamtlicher Tätigkeit erlebt. Durch das Ausrufen des Katastrophenfalles wurde entschieden, dass alle Schulen unseres Kreises an den letzten beiden Tagen des Schuljahres 2020/2021 geschlossen blieben. Alle Zeugnisse wurden den Schülern per Post zugestellt, sofern dies noch möglich war. Die geplante Abschlussfeier der 4. Klasse wurde abgesagt. Während einerseits die Zeugnisse durch die Sekretärin in Briefumschläge gepackt wurden, wurde an anderer Stelle nach vermissten Kollegen gesucht. Gleichzeitig erfährt man, dass neben Kollegen auch Schülerinnen und Schüler und deren Familien in letzter Sekunde evakuiert wurden.
Die Frage, ob, wie und wo noch gelernt oder gar beschult werden kann, so wie wir sie in Pandemiezeiten immer wieder gestellt hatten, ist in Zeiten wie diesen völlig überflüssig. Es zeigt sich vielmehr, worauf es in Krisenzeiten wirklich ankommt, und das sind Solidarität und Mitgefühl.
Bei meinen Einsätzen in den vergangenen Tagen im Eifelkreis und auch im Kreis Ahrweiler konnte ich neben all dem Verlust und Leid so viel Solidarität sehen, so viele Menschen, die völlig selbstverständlich zu Hilfe eilen, die helfen aufzuräumen, die ihre Nachbarn mit Essen versorgen, die sich um die Organisation weiterer Hilfe und Unterstützung kümmern.
Da ist nichts mehr von Spaltung oder Trennung wegen irgendeiner Masken-, Test- oder gar Impfpflicht zu spüren. Diese Grenzen scheinen jetzt, im Angesicht dieser Krise, überwunden. Die Bilder sind zahlreich und durch die sozialen Medien omnipräsent und kaum einer vermag sich der Eindrücklichkeit zu entziehen. Darüber hinaus sind viele von uns sogar selbst betroffen oder haben Freunde oder Bekannte, die betroffen sind.
Diese Krise kann eine Chance sein; erneut eine Chance, um zu erkennen, worauf wir uns wirklich fokussieren müssen. Wir müssen die wirklich wichtigen Dinge im Leben wieder stärker herausstellen und konsequent verfolgen.
Und dies gilt einmal mehr auch für die Bildung. Wie viel Zeit haben wir im letzten Jahr vergeudet, um uns mit Fragen der Machbarkeit zu beschäftigen. Ob es die Fragen nach Masken und deren Ausführung, Tests und deren Umsetzung, Impfangeboten oder Impfpflicht, digitalen Endgeräten für Schüler und Lehrkräfte oder zuletzt auch die immer noch offene Frage nach Luftreinigungsgeräten waren, letztlich war es immer die Frage nach der Machbarkeit, weniger nach dem Sinn, die uns unglaublich viel Lebenszeit hat vergeuden lassen.
Einig waren und sind wir uns alle in dem Wunsch und Bestreben, die Schulen offen zu halten. Aber die sich daraus ergebenden Konsequenzen müssen dann auch umgesetzt werden. Das kann keine Frage von Finanzen sein.
Abschließend möchte ich mich als ehrenamtlich Tätiger für den Katastrophenschutz stellvertretend für viele meiner Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle einmal ganz ausdrücklich bei meinem Arbeitgeber bedanken:
VIELEN DANK an das Land Rheinland-Pfalz, dass ich immer wieder ganz unbürokratisch in diese Einsätze fahren und damit meinen Beitrag leisten darf, andere Menschen in Rheinland-Pfalz in Notlagen zu unterstützen.
Oliver Pick