LuSh – Ausgabe 07-08/2023 – Zeit für mehr Leitungszeit
Das Statement der SLLV-Landesvorsitzenden Lisa Brausch bei der Debatte
Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen der Schulleitungen an Grund- und Förderschulen,
ich freue mich, dass so viele der Einladung des SLLV gefolgt sind. Dies zeigt die besondere, über Jahre aufgewachsene Brisanz des Themas. Umso mehr freuen wir uns heute Abend, dass es endlich gelungen ist, in dieser Form in den Austausch zu kommen.
Die eben gestartete Umfrage unter den Schulleitungen bringt es auf den Punkt:
Eine Vielzahl der Kolleginnen und Kollegen (fast 74 %) in der Leitung halten die Leitungszeit für zu gering. So sind 57,61 % mit ihrem Job unzufrieden oder sogar sehr unzufrieden (33,70 %). 8,51 % befürchten, dass sie ihn nicht bis zur Ruhestandsversetzung ausüben können unter den gegebenen Bedingungen. 36,17 % können sich nur noch vorstellen, 1o Jahre durchzuhalten, 55,32 % sogar nur noch die nächsten fünf Jahre, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Es fühlen gemessen in Schulnoten 13,98 % nur ausreichend, 50,54 % mangelhaft und 20,43 % nur ungenügend sich von ihrem Dienstherrn wahrgenommen mit ihren Problemen. Diese Zahlen sprechen für sich.
Das ist auch das, was uns als Gewerkschaft vonseiten der Grund- und Förderschulleitungen immer wieder in Hilfegesuchen berichtet wurde und immer noch wird.
Mit großer Sorge stellen wir fest, dass die Arbeitsbelastung der Schulleitungen an Grund- und Förderschulen stetig steigt. Wir sorgen uns ernsthaft um die Gesundheit dieser Kolleginnen und Kollegen. Und wir stellen mit gleicher Besorgnis fest, dass die Bewerberlage um Funktionsstellen mehr als dürftig ist. Von einem Auswahlverfahren kann nicht gesprochen werden, vielmehr ist man schon froh, wenn sich eine Person bewirbt. Außerdem gibt es auch immer wieder Kolleginnen und Kollegen in der Schulleitung, die ihre Funktion zurückgeben. Sie sind überlastet und erkranken aufgrund dieser Überlastung. So weit sind wir gekommen!
Ich nenne nur einige Stichpunkte der vielfältigen Aufgaben, die infolge der Veranstaltung von meiner Kollegin Michaela Günther und meinem Kollegen Benjamin Warken aus der Sicht der Schulleitungen noch konkretisiert werden.
Eine immer noch sehr hohe Unterrichtsverpflichtung verhindert, dass Schulleiterinnen und Schulleiter ihren vielfältigen Aufgaben gerecht werden können, ohne auf dem Zahnfleisch zu gehen.
Die Verwaltungsaufgaben sind in den letzten Jahren immens gestiegen. Ich nenne Statistiken, steigende Online-Befragungen, Verwaltung von mehreren Mailpostfächern, Schulbuchausleihe, Sichtung sämtlicher Leistungsnachweise nur als einen Teil der umfangreichen Verwaltungsaufgaben, die zu bewältigen sind.
Der wichtige Bereich der Schulentwicklung liegt ebenso federführend in der Hand der Schulleitungen wie das Regeln sämtlicher Personalangelegenheiten. Auch diese sind durch den Aufwuchs der multiprofessionellen Teams, die wir als Verband natürlich begrüßen, wiederum umfangreicher und auch spezieller geworden. Es finden so zum Beispiel nun auch Ausschreibungen und Vorstellungsgespräche mit Bewerberinnen und Bewerbern um ein Freiwilliges Soziales Jahr statt, um nur ein Beispiel zu nennen.
Auch die Inklusion fordert hohe zeitliche Ressourcen. Die Erstellung des Inklusionskonzeptes, die Zusammenarbeit mit den Förderzentren, viele Absprachen mit Schulsozialarbeitern, Eingliederungshelfern, Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, dem Gesundheitsamt sind hier als Teilbausteine zu nennen.
Der komplexe Bereich der Kooperation mit Schulträgern, FGTS, Bildungs- und Maßnahmeträgern, Sozialamt. Jugendamt, Polizei, BAD soll ebenso noch in der minimalen Leitungszeit erledigt werden.
Auch die Elternarbeit bindet mehr Zeit und ist in vielen Fällen konfliktbeladener geworden. Das geht oft an die Substanz!
Als neue Herausforderung ist die digitale Bildung hinzugekommen. Die Erstellung des Medienkonzeptes, die Absprachen mit Träger, Landkreis und Firmen binden viel Zeit. Ganz zu schweigen davon, dass Schulleitungen erste Anlaufstelle sind, wenn mal was nicht läuft
Auch der große Umfang der Migration stellt besonders die Schulleitungen vor große Herausforderungen, die Suche von Unterstützungsangeboten, die Zusammenarbeit mit den DAZ-Kräften, die Suche von Unterstützungsangeboten sind auch nicht zwischen zwölf und Mittag erledigt.
Und dann noch … Corona. Was die Schulleiterinnen und Schulleiter in dieser für uns alle so schweren Zeit geleistet haben, ist unbeschreiblich. Die ständig erwartete Erreichbarkeit – auch am Wochenende –, die hohe Flexibilität bei der Unterrichtsgestaltung durch sich ständig ändernde Rahmenbedingungen, die Versorgung von allen Schülerinnen und Schülern mit Material bei den Schulschließungen, und dies sehr individuell, sind nur als Auswahl zu nennen. Auch die Folgeprogramme wie Aufholen nach Corona erfordern viel Organisation und binden Zeit.
Wenn man all das betrachtet, täglich erlebt und leisten muss, ist die Unterrichtsermäßigung, die zur Verfügung steht, ein Hohn. Man zerreißt sich zwischen Unterricht und all den Aufgaben und zermürbt sich allmählich wie in einem Mühlrad.
So eine Schule ist ja fast ein mittelständisches Unternehmen, das gemanagt werden muss, das aber mit der gewährten Leitungszeit niemals wirtschaftlich erfolgreich geführt werden könnte.
Zeit haben ist für die Schulleitungen an Grund- und Förderschulen ein Fremdwort. Zeit haben für das, was zu erledigen ist und professionell erledigt sein möchte. Nein, das gibt es dort nicht.
Wie in vielen anderen Bereichen stellen die Grund- und Förderschulen bei der zur Verfügung gestellten Zeit für die Aufgaben rund um die Schulleitung das Stiefkind der Schulformen dar.
Es fängt an bei der Leitungszeit, den Anrechnungsstunden für den Schulleiter, die Schulleiterin. So liegt diese beispielweise nach der Saarländischen Pflichtstundenverordnung in der Grundschule bei 100 Schülerinnen/Schülern bei 3,9, bei den Gemeinschaftsschulen bei 6,7. Können Sie mir, Frau Ministerin, erklären, warum der schulformbezogene Faktor in der Grundschule niedriger ist als an den anderen Schulformen? Ist die Arbeit mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren weniger aufwendig, als sie bei älteren ist? Sind der Verwaltungsaufwand, die Elternarbeit, die außerunterrichtliche Verpflichtung wirklich so unterschiedlich? Ich glaube es nicht. Und so geht das dann in besagter Verordnung konsequent weiter. Die Anrechnungsstunden für die stellvertretende Schulleitung an Grund- und Förderschulen berechnen sich mit 30 % der Stunden für die Schulleitung, während es beispielsweise an den Gemeinschaftsschulen oder Gymnasien 70 % sind. 30 % von ohnehin wenigen (!!!) Stunden. Bei den Schuldeputaten geht es dann genauso weiter. 4 Stunden an Grund- und Förderschulen, 9,5 an Gymnasien/Gemeinschaftsschulen im Bereich der Sek. I, im Bereich der SEK 2 20!!!!
Hinzu kommt noch, dass die Funktionsstellenstruktur (in der Grundschule ein Fremdwort) an den Gemeinschaftsschulen massiv ausgebaut wurde, was wir den Kolleginnen und Kollegen wirklich gönnen und was im Sinne der Gleichstellung mit den Gymnasien dringend erforderlich war. Das bedeutet beispielsweise, dass ein Schulleiter einer Gemeinschaftsschule mit 240 Schülerinnen und Schülern nach A15 zukünftig besoldet wird, er wird unterstützt durch einen Konrektor als 1. Stellvertreter mit A14Z, einen Konrektor als 2. Stellvertreter mit A14, einen Konrektor als Koordinator in der Schulleitung mit A14, einen als Koordinator für besondere Aufgaben in der A14, einen zweiten Konrektor als Fachkoordinator in der A13Z. Als Entlastungsstunden werden 32 LWS gewährt. Eine Schulleiterin in der Grundschule mit gleicher Schülerzahl wird nach A13Z besoldet, ihr steht gerade mal eine Konrektorin – wenn die Stelle überhaupt besetzt werden kann – zur Seite mit A12Z. Die Entlastungsstunden liegen in dieser Schulform dann gerade mal bei 10!
Das ist ungerecht und wird nicht mehr verstanden, Frau Ministerin!
Doch der Hauptfaktor der Belastung ist und bleibt die mangelnde LEITUNGSZEIT!
Zeit haben, Zeitdruck, sich Zeit nehmen, Zeit schenken, Zeit nutzen oder verschwenden.
Das sind Begriffe, die ein Viertklässler nennen würde, wenn man ihn fragen würde, was ihm zu dem Begriff „Zeit“ einfiele.
Mir fällt heute Abend und auch seit vielen Jahren dazu Folgendes ein:
Es ist an der Zeit für mehr Leitungszeit an Grundschulen und Förderschulen, Frau Ministerin!
Heute ist ja auch nicht das erste Mal, dass wir mit diesem Anliegen an Sie herantreten. Und Sie sind auch nicht die erste Ministerin, der erste Minister, dem der SLLV dieses berechtigte Anliegen seit Jahren vehement und immer wieder vorgetragen hat. Da sich aber die Aufgaben – wie oben beschrieben – noch massiv erweitert haben, sollten Sie jetzt die erste sein, die etwas bewegt in dieser Angelegenheit!
Gerne erinnere ich Sie an das Wahlversprechen Ihrer Partei. Bei den Wahlprüfsteinen des SLLV vor der letzten Landtagswahl hat Ihre Partei, die SPD, dem SLLV folgendermaßen geantwortet:
Auf die Frage des SLLV „Wie sorgen Sie für attraktive Funktionsstellen in den Schulen?“ wurde geantwortet: „Wir werden den Schulleitungen grundsätzlich in allen Schulen eine stellvertretende Schulleitung angliedern. Gleichzeitig werden wir die Leitungszeit ausweiten, damit genügend Arbeitszeit für die Leitungsaufgaben zur Verfügung steht.“
Auf die Frage „Wie werden Sie dafür sorgen, dass es zukünftig an allen Grundschulen verlässliche, attraktive Leitungsstrukturen geben wird (Schulleiter/Schulleiterin und Konrektor/Konrektorin für alle Schulen, Anpassung der Leitungszeit an die der anderen Schulformen, Reduzierung der Wartezeit auf Beförderung, Höhergruppierung um eine halbe Besoldungsstufe wie in Rheinland-Pfalz)?“ antwortete die SPD: „Wir befürworten die Angleichung der Funktionsstellenstruktur sowie der Leitungszeiten. Eine Reduzierung der Wartezeiten sowie eine Höhergruppierung der Grundschullehrkräfte sind wünschenswert.“
Auf die Frage „Wie wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass alle Grundschulen mit dem erforderlichen Verwaltungspersonal ausgestattet werden?“ antwortete die SPD: „Wir werden in Zusammenarbeit mit den Schulträgern eine zeitliche Aufstockung des Verwaltungspersonals anstreben.“
Papier ist geduldig, wir sind es nicht mehr, Frau Ministerin!
Sie haben es geschafft, dass die Leitungen der Kitas freigestellt werden für ihre Leitungsaufgaben. Sie haben die Angleichung der Gemeinschaftsschulen an die Gymnasien umgesetzt. Prima und wichtig!
Aber jetzt muss endlich etwas bei den Leitungen der besagten Schulformen geschehen!
Mit Spannung erwarten wir Ergebnisse, die der Rechnungshof nach Befragung von 16 Grundschulleitungen präsentieren wird. Ich gehe davon aus, dass auch dort gesehen wird, dass es einen dringenden Verbesserungsbedarf geben wird.
Schulleiterinnen und Schulleiter an Grund- und Förderschulen fühlen sich nicht wertgeschätzt, nicht gesehen in dem, was sie leisten. Sonntagsreden und Lobeshymnen sind ja ganz nett, helfen aber nicht weiter. Nein, im Gegenteil, sie werden oft als Ironie wahrgenommen und als ein Ruhigstellen. Echte Leitungszeit hilft weiter und deshalb, Frau Ministerin, erwarten wir, dass Sie das zur Chefsache machen. Wir erwarten Ihren vollen Einsatz innerhalb der Haushaltsgespräche mit der Landesregierung, Frau Streichert- Clivot. Dieses Mal für die Schulleitungen an Grund- und Förderschulen. Gerne hätte ich das auch dem Vertreter des Finanzministers, Herrn Prof. Dr. Henning Meyer, gesagt, aber er hat kurzfristig abgesagt!
„Wir würden ja, aber wir haben ja keine Lehrkräfte, um diese Stunden auszugleichen, es geht nicht alles auf einmal …“ und so weiter. Das können und wollen wir nicht mehr hören.
Wenn Sie gesunde, motivierte und engagierte Schulleitungen möchten, und davon gehe ich fest aus, dann muss etwas in Bewegung kommen! Wenn Sie weiterhin geeignete Bewerberinnen und Bewerber für Funktionsstellen finden möchten, müssen diese Ämter attraktiver gestaltet werden. Und es muss alles dafür getan werden, dass Lehrkräfte das Saarland wieder als attraktives Bundesland wahrnehmen und nicht in andere Bundesländer abwandern. Aus diesem Grund müssen sie auch endlich nach A13 bezahlt werden, wie es in immer mehr Bundesländern bereits der Fall ist. Außerdem müssen die Einstellungsrichtlinien auf den Prüfstand. Denjenigen, die im Saarland ausgebildet wurden, muss – genau wie in Rheinland-Pfalz – ein Bonus gewährt werden, weil sie die länderspezifische Rechtslage bereits kennen. Ein weiteres Abspeisen mit befristeten Verträgen ist einfach nur verantwortungslos und ist nicht mehr länger hinnehmbar. Sie bieten den jungen Menschen keine Planungssicherheit und halten sie mit Sicherheit nicht im Saarland. Genau wie in anderen Bundesländern muss für sie klar sein, dass sie eine Planstelle erhalten, wenn sie ihr Examen bestehen!
Deshalb fasse ich noch einmal die seit Jahren gestellten Forderungen unseres Verbandes zusammen:
Der SLLV bekräftigt deshalb noch einmal seine Forderungen:
- Mindestens die Hälfte der Unterrichtsverpflichtung als Leitungszeit!
- KonrektorInnen, die den Namen auch verdienen, für alle Schulen!
- Angleichung der Besoldungsstruktur im Grundschulbereich an die der anderen Schulformen!
- Weitere Schuldeputate!
- Schulverwaltungspersonal für den ganzen Vormittag!
Frau Ministerin, wir erwarten mit Interesse Ihre Ausführungen.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich im Anschluss, bei allem Verständnis für die empfundene Überlastung und Frustration, um eine konstruktive Diskussion. Herzlichen Dank dafür.
Bildunterschriften:
podium_statement_01: V. l. n. r.: Schriftleiterin Moni Greiveldinger, Vanessa Peuckert und Petra Meier-Ziemiak im Einsatz
podium_statement_02:
Die Schulleitungen Michaela Günther und Benjamin Wanken vom SLLV saßen mit auf dem Podium.
podium_statement_03:
Das Podium blickt auf die Umfrage-Ergebnisse.
podium_statement_04:
Während der Diskussion konnte online an einer Umfrage teilgenommen werden.
podium_statement_05:
Mindestens die Hälfte der Unterrichtsverpflichtung als Leitungszeit forderte der SLLV in der Debatte.