LuSh – Ausgabe 03-04/2024 – Aufblühen statt Austrocknen
Aufblühen statt Austrocknen
Der Zusammenhang von Wohlbefinden und Schulqualität
Studien zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Wohlbefinden von Lehrkräften und dem Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler gibt. Erste Projekte zeigen, wie damit die Schulqualität systematisch gefördert werden kann. Zu wenige Lehrkräfte, steigender Unterrichtsausfall, schlechte Ergebnisse in Studien, herausfordernde Schülerinnen und Schüler, viel Bürokratie. Die Liste der Baustellen an den Schulen könnte auf diese Weise noch lang weitergeführt werden.
Angesichts dieser Aufgaben scheint es auf den ersten Blick fast absurd, über Wohlbefinden von Lehrkräften nachzudenken. Aber nur fast, denn das Wohlbefinden von Lehrkräften hängt eng mit dem Lernen von Schülerinnen und Schülern zusammen. Es ist somit keine Frage des Luxus, sich damit zu beschäftigen, sondern eine Frage der Qualität an Schulen. Das belegen Studien. Höchste Zeit also, sich mit dem Wohlbefinden in der Schule genauer zu beschäftigen.
Studienlage zu emotionaler Erschöpfung
Etwa jede dritte Lehrkraft beschreibt sich selbst als stark emotional erschöpft (Böckelmann et al., 2013). Nach der Umfrage des VBE aus 2021 zur Gesundheit von Lehrkräften sagen 50 Prozent der Schulleitungen, dass die Zahl der Krankmeldungen wegen psychischer Erkrankungen zugenommen hat. 2019 hatten das nur 36 Prozent rückgemeldet.
Nahezu ein Drittel aller Lehrkräfte scheidet wegen psychischer und psychosomatischer Störungen oder Folgeerkrankungen vorzeitig aus dem Beruf aus. Nach der breit diskutierten Studie von Schaarschmidt (vgl. 2005) ist der Lehrerberuf unter den sozialen Berufen Spitzenreiter hinsichtlich psychischer und psychosomatischer Störungen. Depressionen, Schlafstörungen, Konzentrationstörungen, Aggressivität, Bluthochdruck und Angststörungen sind die üblichen Erkrankungsformen.
Diese bekannten Befunde haben aber nicht nur Auswirkungen auf die individuelle Lehrergesundheit, sondern auf die Lehrleistungen der Pädagogen und das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Die Ergebnisse einer Studie von 2016 zeigen sogar, dass auch die emotionale Erschöpfung der Lehrer signifikant negativ mit den Mathematikleistungen der Schüler zusammenhängt. Der Zusammenhang kann durch die Zusammensetzung des Klassenzimmers abgemildert oder verstärkt werden. Wenn etwa viele Kinder und Jugendliche ohne deutsche Muttersprache im Klassenzimmer sitzen, verursacht das größere emotionale Erschöpfung (Klusmann, Richter & Lüdtke, 2016).
Zufriedenheit von Lehrkräften und Kindern
Einen weiteren Zusammenhang macht die Lehrergesundheitsstudie Brandenburg – über 800 Lehrkräfte und knapp 2.700 Schüler:innen wurden befragt (Bilz et al., 2022) – auf. Demnach existiert eine Verbindung zwischen dem psychologischen Wohlbefinden der Lehrkräfte und der Schulzufriedenheit der Schülerinnen und Schüler. Ebenso hängt die emotionale Erschöpfung der Lehrkräfte mit den psychosomatischen Beschwerden der Schülerinnen und Schüler zusammen. Das heißt, je höher das Wohlbefinden der Lehrkräfte einer Schule ist, umso besser gefällt es ihren Schülerinnen und Schülern in der Schule. Gleichzeitig gilt, je größer die emotionale Erschöpfung der Lehrkräfte einer Schule ausfällt, desto häufiger berichten ihre Schülerinnen und Schüler von eigenen psychosomatischen Beschwerden, beispielsweise Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Nervosität.
Warum ist das so? Die Autoren der Studie vermuten, dass die in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigten Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler weniger gut unterstützen und deshalb deren Schulzufriedenheit sinkt.
Diese Verkettung sollte ernst genommen werden, so die Wissenschaftler der Studie. Denn wenn die emotionale Unterstützung an der Schule funktioniere, würden wichtige Grundlagen für eine gesunde psychosoziale Entwicklung gelegt. Darüber hinaus können diese Maßnahmen auch eine geeignete Strategie zur Steigerung der Attraktivität des Lehrberufs sein. Leider ist das noch wenig in der Realität angekommen. Erste Ansätze dazu gibt es an der Universität Erfurt.
Wohlbefinden am Beispiel Erfurt
Benjamin Dreer ist wissenschaftlicher Geschäftsführer der Erfurt School of Education, am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Erfurt. In seiner Forschung befasst er sich mit dem Wohlbefinden angehender und berufstätiger Lehrpersonen. Auf Grundlage dieser Forschungen hat er einen verpflichtenden Kurs für angehende Grundschullehrkräfte zum Wohlbefinden im Lehrberuf entwickelt. Dieser Kurs wird als Begleitveranstaltung zum Schulpraktikum angeboten. Studierende sollen hier Fähigkeiten lernen, die sie im Lehrberuf erfolgreich einsetzen können. Dazu gehört beispielsweise die Fähigkeit, mit Belastungssituationen umzugehen und eine positive Haltung zu bewahren. Es zeigt sich in der dazu laufenden Studie, dass Studierende, die während ihres Praxissemesters an dem Kurs teilnehmen, im Vergleich mit Studierenden, die ein anderes Angebot durchliefen, bedeutsame Zuwächse in ihrem Wohlbefinden erreichen. So gelingt es mit dem Kurs systematisch, die Lebenszufriedenheit zu steigern und emotionaler Erschöpfung vorzubeugen.
Selbsthilfe für Pädagogen
Leider ist das Angebot der Erfurter Universität eher die Ausnahme als die Regel. Und auch an den Schulen gibt es zwar einige, die sich mit dem Thema befassen. Aber von einer systematischen Verankerung des Themas Wohlbefinden ist das Bildungssystem weit entfernt. Der Bedarf ist aber riesig und die Zugänge sind vielfältig. Das sieht man beispielsweise daran, dass sich rund um das Thema eine vielfältige Coachingszene aus (Ex-)Lehrerinnen entwickelt hat. Da gibt es beispielsweise Martina Schmidt aus Nordrhein-Westfalen, die sich mit dem Thema „Pausen in der Schule“ dem Thema Wohlbefinden nähert. Oder Lydia Clahes aus Niedersachsen, die sich unter der Online-Adresse „lockerlehrer.de“ dem Training für mehr Leichtigkeit und Humor im Schulalltag verschrieben hat. Oder die Berlinerin Ilka Köhler, die ein Buch über „Das Geheimnis glücklicher Pädagogen“ geschrieben hat. Allen gemeinsam ist, dass sie u. a. mit Methoden der Positiven Psychologie (zur Definition siehe Infokasten) arbeiten. Dabei geht es beispielsweise darum, dass Lehrkräfte nicht der sogenannten sich selbst erfüllenden Prophezeiung auf den Leim gehen.
Nicht in Erwartungsfallen tappen
Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung kann etwa sein
- die Befürchtung, dass es in der 8 d zur 6. Stunde auch heute wieder heiß hergehen wird.
- die Erwartung, dass Lena in Mathe auch heute wieder malen statt mitdenken wird.
Schon 1968 haben Forscher diese Erwartungsfallen in einem Experiment untersucht. Der Aufbau sah folgendermaßen aus: Zwei Lehrkräften wird jeweils eine durchschnittliche Klasse zugeteilt. Dem einen wird gesagt, dass in der Klasse lauter supergute Schülerinnen und Schüler sitzen, regelrechte Überflieger, dem anderen Pädagogen wird gesagt, die Kinder in seiner Klasse seien eher schwierig. Nach einiger Zeit wurden die Lernergebnisse der Kinder kontrolliert. Man stellte fest, dass die Kinder, die als Überflieger bezeichnet wurden, sich um 20 IQ-Punkte steigern konnten. Bei der anderen Klasse zeigten sich dagegen unterdurchschnittliche Leistungen. Die Forscher erklärten sich diese Ergebnisse damit, dass Lehrkräfte sich bei einer Klasse, von der sie viel Potenzial erwarten, von vornherein mehr Mühe geben und mehr investieren und dementsprechende Früchte ernten.
Positive Psychologie trainiert Wohlbefinden
Hier setzt die Positive Psychologie u. a. an. Die Forschung hat gezeigt, dass das Erleben positiver Emotionen von zentraler Bedeutung für das menschliche Aufblühen ist. Als Lehrkraft können Sie üben, Ihre positiven Erlebnisse bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren. Eine Übung hierfür wäre beispielsweise, jeden Tag drei Dinge zu notieren, für die Sie dankbar sind oder die Sie glücklich gemacht haben.
Engagement und Flow-Erleben sind weitere wichtige Aspekte für das menschliche Aufblühen. Im Schulalltag kann es schwierig sein, den Flow zu finden und sich vollständig auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Als Lehrkraft können Sie sich überlegen, welche Aufgaben im Schulalltag Sie mit Freude erledigen. Überlegen Sie anschließend, wie Sie es schaffen, von dieser Aufgabe mehr zu machen und dafür andere Aufgabe zu delegieren. Das bewusste Planen von Flow-Aufgaben im Arbeitsalltag wirkt sich nachweislich positiv auf die Berufszufriedenheit und das individuelle Wohlbefinden aus.
Soziale Beziehungen sind ebenfalls von zentraler Bedeutung für das menschliche Aufblühen. Als Lehrkraft sollten Sie Ihre sozialen Beziehungen pflegen und stärken. Eine Übung hierfür wäre beispielsweise, dass Sie jeden Tag einer Person aus Ihrem Umfeld ein Kompliment machen oder jemandem Ihre Dankbarkeit oder Ihre Wertschätzung ausdrücken.
Sinn erleben, Erfolgserlebnisse und Vitalität sind weitere Aspekte, die für das menschliche Aufblühen von Bedeutung sind. Sinn erleben Menschen, wenn sie sich beispielsweise als Teil eines größeren Ganzen fühlen, beispielsweise wenn Sie mit anderen Musik machen oder im Chor singen. Vitalität bezieht sich auf körperliche Faktoren wie ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung und Bewegung.
Training für Lehrkräfte erprobt
„Die Erkenntnisse der Positiven Psychologie eröffnen für Lehrkräfte ein großes Potenzial, Ausfällen aufgrund psychischer Dysbalancen vorzubeugen und insgesamt eine höhere Berufszufriedenheit, geringeres Stresserleben und höheres Wohlbefinden zu ermöglichen“, schreibt die Psychologin Natalie Gouasé in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Grundschule (6/2023). Die Wissenschaftlerin hat auf Basis der vorliegenden Forschung ein Konzept des positiven Selbstmanagements entwickelt, welches bereits im Rahmen eines Trainings für Lehrkräfte im Schulkontext umgesetzt und evaluiert wurde. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Lehrpersonen, die am Training teilnahmen, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe nicht nur ein besseres gesundheitsbezogenes positives Selbstmanagement aufweisen, sondern darüber hinaus auch personale Ressourcen wie Selbstwirksamkeit und Optimismus stärken. Außerdem zeigten sich bedeutend positive Effekte für chronischen Stress und depressive Verstimmung.
Fazit
Die Bedeutung von Wohlbefinden geht über die individuelle Lehrergesundheit hinaus und spielt eine größere Rolle als bisher diskutiert für die schulische Qualität. Jede Lehrkraft kann mithilfe der Positiven Psychologie zwar an ihrer Widerstandskraft arbeiten, um Krisen besser zu bewältigen. Es kann jedoch nicht sein, dass sie sich in Arbeitsbedingungen begeben muss, in denen sie stetig gefährdet ist, ihre psychische Gesundheit zu verlieren. Vielmehr müssen die Arbeitsbedingungen so gestaltet sein, dass die Lehrkraft ausreichend Unterstützung bekommt, und sie dürfen das Wohlbefinden nicht gefährden. Der Lehrkraft muss systematisch Hilfe geboten werden, wenn es nötig ist. Diese Faktorensind nicht zu unterschätzen, wenn die Baustellen im Bildungssystem eines Tages keine Baustellen mehr sein sollen.
Was bedeutet Wohlbefinden?
Wohlbefinden ist ein Begriff, der genauer betrachtet werden muss, um zu verstehen, was damit gemeint ist.
- Die Weltgesundheitsorganisation hat den Begriff des Wohlbefindens als Teil der Gesundheit definiert, als „einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen“. Wohlbefinden ist demnach mehr als die Abwesenheit von Beschwerden, Sorgen oder Ängsten im Beruf.
- In der Arbeits- und Organisationspsychologie beschreibt beispielsweise das „Job-Demands-Resources-Modell“, dass es in jedem Beruf Anforderungen und Ressourcen gibt. Durch eine Häufung von Anforderungen (beispielsweise Zeitdruck, ungünstige Umgebungsbedingungen, Schichtarbeit) kann es zu negativen Folgen wie Erschöpfung oder Burn-out kommen. Im Gegensatz dazu führen Ressourcen (beispielsweise Autonomie, Unterstützung, Rückmeldungen) zu höherem Engagement und besserer Leistung bei der Arbeit.
- Aus der Positiven Psychologie ist zum Thema Wohlbefinden besonders bekannt das „PERMA-Modell“ nach
Martin Seligman, in dem fünf Kräfte des Wohlbefindens definiert werden:
- angenehme Gefühle (Positive Emotions = P)
- Engagement und das Erleben von Flow (Engagement = E)
- positive Beziehungen (Relationships = R)
- Bedeutung und Sinn (Meaning = M)
- Erfolg (Achievement = A)
Ihre Ansprechpartner
Ilka Köhler, ehemalige Sonderpädagogin, hat sich eine zweite Karriere als Feel-Good-Managerin aufgebaut,
„weil glückliche Menschen effektiver arbeiten, seltener krankheitsbedingt ausfallen oder den Arbeitgeber wechseln.“ https://ilkakoehler.de/
Martina Schmidt, Ex-Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen, bemüht sich darum, aus Pausen in den Schulen echte Pausen zu machen.
https://www.diekleinepause.de/
Lydia Clahes aus Niedersachsen, ehemalige Lehrerin, hat zusammen mit ihrem Mann, der Psychologe ist, ein Coachingangebot aufgebaut, das sich vor allem an Berufsanfänger richtet. www.lockerlehrer.de
Literatur
Klusmann, U., Richter, D., & Lüdtke, O. (2016). Teachers’ emotional exhaustion is negatively related to students’ achievement: Evidence from a large-scale assessment study. Journal of Educational Psychology, 108(8), 1193–1203. https://doi.org/10.1037/edu0000125
Forsa. (2021). Die Schule aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter. Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsförderung. Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung (forsa. Politik- und Sozialforschung GmbH im Auftrag des VBE, Hrsg.). Zugriff am 12.10.2023. Verfügbar unter https://www.tlv.de/inhalt/uploads/2022/01/2022-01-31_SF-Charts-Bund_Gesundheit.pdf
Böckelmann, I., Zavgorodnij, I., Iakymenko, M., Seibt, R., Spitzer, S., Druschke, D., et al. (2013). Professional burnout syndrome among teachers of Ukraine and Germany. Scientific Journal of the Ministry of Health of Ukraine, (3), 163–172.
Schaarschmidt, Uwe (Hrsg.) Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit im Lehrberuf. Analyse eines veränderungsbedürftigen Zustandes. Weinheim: Beltz (2005).
Bilz, L., Fischer, S. M., Hoppe-Herfurth, A.-C., & John, N. (2022). A consequential partnership: The association between teachers’ well-being and students’ well-being and the role of teacher support as a mediator. Zeitschrift für Psychologie, 230(3), 264–275.
Gouasé, Natalie. Positives Selbstmanagement. In: Wohlbefinden in der Schule – kein Luxus, sondern Qualität. Grundschule 6/2023. Westermann. 34–44.
Hascher, T., & Waber, J. (2021). Teacher well-being. A systematic review. Educational Research Review.
Dreer, Benjamin, & Gouase, Natalie. (2021). Interventions fostering well-being of schoolteachers: a review of research. Oxford Review of Education. 48. 10.1080/03054985.2021.2002290
Gouasé (2021). Positives Selbstmanagement für Lehrkräfte: Multimethodale Evaluation einer Maßnahme zur Gesundheitsförderung. Wiesbaden: Springer Nature.