LuSh – Ausgabe 03-04/2021 – Dies und Das – Lernfreundliche Instruktion
Lernfreundliche Instruktion
Das Problem
Corona hat auch den Unterricht verändert. Der gute lehrerorientierte Unterricht ist aufgrund veränderter Gegebenheiten in den Vordergrund gerückt. Aber längst steht die Revitalisierung eines Themas an, das wie ein Tabu behandelt wird und trotzdem den Unterrichtsalltag dominiert: Welche Anforderungen sind an einen guten lehrerorientierten, vermittelnden Unterricht zu stellen?
1. Der Überblick mithilfe eines Schemas
Das Strukturschema (rechts) zeigt ein Drei-Säulen-Modell. Die linke Säule (linker Kasten) soll die Grundstruktur deutlich machen. Die mittlere Säule (mittlerer Kasten) listet gute Vermittlungstechniken auf. Die rechte Säule (rechter Kasten) markiert die infrastrukturellen Solls, die die Grundstruktur wie die Vermittlungstechniken bestimmen sollen.
2. Die didaktisch-methodische Grundstruktur
Das Anliegen von Vermittlungsphasen ist die Weitergabe einer jeweils zu bestimmenden Menge von Informationen, die für die Kenntnis einer Sache oder die Beherrschung einer Fertigkeit unerlässlich ist. Erfolgt diese Weitergabe ungeordnet oder in zu großen Mengen (etwa ein 45-min. Vortrag in einer 5. Klasse), kann man den Lernerfolg von vornherein als gering einstufen. Folgende Elemente können einer Optimierung dienen.
Die Einführung einer sog. Metastruktur neben bzw. über der eigentlichen Vermittlungsstruktur (Vortrag, Erläuterung, Erklärung) dient der Verabredung der für beide Seiten (Redner, Hörer) günstigen Vorgehensweise (ihr könnt jederzeit fragen, ich gebe zunächst eine Übersicht, gehe dann Punkt für Punkt vor, ich stelle den Sachverhalt in etwa 15 Min. vor, dann kann darüber geredet werden, ich zeige vier Folien und erläutere diese, die Übersichten auf den vier Folien bekommt jeder sofort, das Mitschreiben ist dadurch entlastet usw.).
Der Vermittelnde legt seinen Lehrplan offen und macht ihn dadurch zum Lernplan: Ich verorte zunächst das Darzustellende, konzentriere mich heute auf diesen Inhalt, werde zwei Grundaufgaben durchgehen und entwickle dann eine Zusammenfassung.
Sog. Advance Organizer geben eine Vorstruktur (Überschrift, Abschnitte, neu zu lernende Begriffe und Operationen). Der Zuhörer kennt die wichtigen Elemente gleich (Benennungsfunktion) und kann die folgenden Ausführungen als Ausfüllung der Vorstruktur verstehen und einordnen. Zunächst im Verständnis offenbleibende Stellen werden markierbar und nachfragbar.
Gerade wenn jemand etwas anschaulich und konkret darstellt, ist es für den Zuhörer häufig schwer, das Wesentliche zu identifizieren. Mitunter erscheint die „Verpackung“ interessanter als der Kern der Sache. So wäre es häufig hilfreich, einen sog. Basistext bereitzuhalten, der das zu Lernende knapp, prägnant und ohne Schnörkel wiedergibt. In der Vielfalt des zu Vermittelnden in den vielen Unterrichtsstunden über das Schuljahr hinweg wären Basistexte die Kerne, die Knoten, die für das Behalten besonders hilfreich sind.
Das Knochengerüst für diese wären Grundbegriffe bzw. -aufgaben, die das Gesprochene in Begriffe (Spracherweiterung) und Algorithmen (Verfahrensregeln) fassen und damit die größte Verdichtung darstellen.
Zum Schluss sind Merkstrukturen für die Speicherung immer effektiv: Übersichten, Diagramme der verschiedensten Art, Begriffsbäume, Systematisierungen. Mit dem Begriff des „mapping“ werden heute gern all diese Möglichkeiten beschrieben, die von Begriffsdefinitionen über Merksätze bis zu visuell gut nachzuvollziehenden Übersichten der verschiedensten Art reichen.
3. Gute Vermittlungstechniken
Ergibt sich die didaktisch-methodische Grundstruktur vor allem von der jeweiligen Sache her, so ist für eine gute Vermittlung die Nutzung der zweiten Säule wichtig, die hier mit guten Vermittlungstechniken überschrieben wird.
Das Veranschaulichen, das Zeigen
Eine gute Vermittlung ist sicher dadurch bestimmt, dass Lernende eine klare Anschauung von einer Sache bekommen. Damit wird nicht einer schlichten Abbilddidaktik das Wort geredet. Anschauung bedeutet, über sinnliches Wahrnehmen hinaus ein „kategoriales Schema“ von einer Sache zu gewinnen, sie damit schließlich auf den Begriff bringen zu können. Wenn der Vermittlungsmodus die Sprache ist, bedeutet Veranschaulichen das Zeigen von realen oder bildlich vermittelten Beispielen und Phänomenen. Wenn der Lerngegenstand Ausgang der Vermittlung ist (das Fahrrad, das Experiment mit dem Hebelgesetz, der Felgaufschwung u. a. m.), sind das Zeigen oder das Vorführen oder das Vormachen der „idealen Gestalt“, das Zeigen des Prototyps zunächst wichtig, um dann über die Sprache die Sache nachgehend so zu klären, dass die Lernenden einen Begriff von der Sache gewinnen. Deutlich wird, dass das Reden über einen Sachverhalt relativ hohl bleibt, wenn deutliche Anschauungen nicht vorliegen (bloße Kreidephysik). Der schwierige Fall ist dabei der, dass der Sachverhalt von vornherein nur in der Sprache vorliegt (Bearbeitung einer Novelle, historische Sachverhalte u. a. m.). Veranschaulichungen sind dann von vornherein nur über Hilfskonstruktionen (Schemata, Bildfolgen usw.) zu gewinnen.
Das Problematisieren
Wenn ein Lernender noch keinen Zugang zu einem Lerngegenstand hat, läuft eine „fertige“ und glatte Vermittlung schnell an ihm vorbei, Deshalb ist das Problematisieren eine wichtige Vermittlungshilfe. Dies bedeutet in diesem Zusammenhang, den Sachverhalt zunächst in eine Ausgangssituation zurückzuführen, in der mehr Fragen, Lücken, Zweifel, Ungelöstes, Probleme bestehen und das zu Vermittelnde dann als Antwort darauf verstanden werden kann. Das Hebelgesetz versteht man besser, wenn es tatsächlich zur Erleichterung eines Lastentransportes dienen kann.
Das Anregen und Fragen
Direkt damit in Zusammenhang steht, das Anregen und Fragen als Teil einer guten Vermittlung zu verstehen. Mit Impulsen (lat. pellere = stoßen) Such- und Aufnahmeaktivitäten in Gang zu setzen, um der Vermittlung den entsprechenden Resonanzboden zu verschaffen, ist das Anliegen, das über einen rein von der Sache her konzipierten Vortrag weit hinausführt.
Das Informieren
Beim Informieren selbst (Vermittlung pur!) geht es dann um den Aufbau des Vortrages (sprachliche Information), das Vorführen eines Experimentes mit Erläuterung (demonstrative und sprachliche Information), das Vormachen einer Handlungssequenz (psychomotorische Information) wie etwa den Gebrauch einer Säge. Aufbau und Folge von Informationsstücken, die Dichte ihrer Darbietung, eine lerneradäquate Sprache, der Veranschaulichungsgrad, die Prägnanz der Darstellung sind wichtige Elemente. Eine Methodik des Informierens wäre hier ausführlicher zu entwickeln (Bönsch, 2018, 5. Aufl.).
Das Strukturieren
Wiederum ganz in der Nähe zu dem eben Ausgeführten steht die Vermittlungstechnik des Strukturierens. Sie wird angeführt, weil für Lernende eine Strukturierung nach vorn (was werden wir heute wie behandeln?), eine Strukturierung in der jeweils aktuellen Situation (im Unterrichtsgespräch sind zwischenzeitliche Vergewisserungen für die Teilnahme möglichst vieler Schüler*innen wichtig), eine nachgehende Strukturierung (was haben wir gefunden, welches sind unsere Ergebnisse?) den Lernprozess entscheidend steuern. So kann man als Subtätigkeiten des Strukturierens die Wegbeschreibung, das Ordnen, das Systematisieren, die Ortsbestimmung nennen.
Das Vormachen / das gute Beispiel
Sowohl die sprachliche Vermittlung (Erklärung einer Rechtschreibregel) als auch das Vormachen haben für das Lernen eine eminent beispielhafte Bedeutung, weil das gute Beispiel (unsere Lehrerin kann gut erklären!) die entscheidenden „Spuren“ für das Lernen legt (ich mache es so, wie X es vorgemacht hat). Das allzu starke Alleinlassen der Schüler*innen bei der Erarbeitung kann unter lerntheoretischen Gesichtspunkten sicher hinterfragt werden.
Engagement Identifikation (der personale Faktor)
Die vorstehenden Ausführungen führen zu einem Sachverhalt, der für eine gute Vermittlung mitunter unterschätzt worden ist: Die Bedeutung eines Sachverhaltes (dies ist wichtig, lasst euch darauf einmal ein!) hängt zum Schluss von dem Engagement eines Lehrers / einer Lehrerin, von der zu erkennenden Identifikation mit den eigenen Fächern, vom Spaß und Interesse an den Inhalten ab.
4. Infrastrukturelle Solls
Nach dem anfangs entwickelten Bild von drei Säulen, durch die eine gute Vermittlung bestimmt werden soll, geht es jetzt noch um die dritte Säule: die sog. „infrastrukturellen Solls“. Gemeint sind damit Gesichtspunkte, die jede Vermittlung unabhängig von Intentionen und konkreten Gestaltungselementen bestimmen sollten.
Verständlichkeit
Eine sicher nicht angezweifelte Grundqualität ist Verständlichkeit. Lernprobleme für Schüler*innen ergeben sich wahrscheinlich gar nicht so selten durch mangelhafte Verständlichkeit von Vermittlungssequenzen. Das sog. Hamburger Verständlichkeitskonzept (Schulz von Thun u. a., 1974) gibt vier Dimensionen an, von denen her sich Verständlichkeit bestimmen lässt. Die erste ist Einfachheit in der Sprache. Eine überschaubare Syntax, das heißt einfache Sätze, klare Aussagen (keine Verschlüsselung), bekannte Begriffe (wenn Fachtermini unerlässlich sind, werden sie erklärt) sind Elemente von Einfachheit, die Verständlichkeit fördert. Ganz wichtig ist die Gliederung/Ordnung einer Darstellung. Diese hat zwei Aspekte: Einmal geht es um die innere Gegliedertheit. Gedanken werden folgerichtig entwickelt, der rote Faden ist immer erkennbar. Die äußere Gegliedertheit zeigt sich in Elementen, die z. B. einen Tafeltext gut lesbar machen: Absätze, Teilüberschriften, Unterstreichungen, unterschiedliche Schrifttypen, die Hervorhebung zentraler Begriffe durch Herausnahme nach links oder rechts. Für die mündliche Vermittlung kann man analog eine Begriffsauflistung, eine Schemaentwicklung auf Tafel oder Folie angeben, die im Entstehen den gedanklichen Prozess abbilden hilft. Dabei ist die entstehende Übersicht besser als die fertige. Prägnanz ist das Wort für die dritte Dimension. Sie meint die sorgfältige Wahl der Worte, die Ausrichtung der Sprache auf das Vermittlungsziel (kein Wort ist überflüssig!), sodass das zu Vermittelnde eine prägnante sprachliche Gestalt erfährt. Schließlich wird eine vierte Dimension angegeben: Stimulanz. Mit ihr sind Gestaltungselemente gemeint, die anregenden Charakter haben: Beispiele, Persönliches, Anekdoten, Anschauliches, Anregendes.
Nachvollziehbarkeit
Eine gute Vermittlung muss Nachvollziehbarkeit gewährleisten. Ein Lernender kann vielleicht den Sinn einer Sache noch nicht erkennen. Aber es muss sich bei ihm schnell die Erfahrung einstellen, dass man der Darstellung gut folgen kann, dass der entwickelte Gedankengang plausibel ist, dass man genügend Anker angeboten bekommt. Dies meint dann, Verständlichkeit mit dem richtigen Darstellungstempo zu verbinden und genügend Verstehens- und Speicherhilfen anzubieten.
Sinn
Das Wichtigste ist im Prinzip der Sinn, der eine Vermittlung und ihre Rezeption bestimmt. Unterricht wird generell immer wieder vorgeworfen, dass Sinn eine Mangelkategorie sei. Die Entwicklung von Sinn durch Begründung, diskursive Verständigung, durch Handlungszusammenhänge, in denen Vermittlungsanliegen bedeutsam werden, oder einfach zunächst interessante bzw. interessant gemachte Sachverhalte sind gewissermaßen die Krönung der Lehre!
Das Ganze und das Detail: Repräsentativität
Ist Sinn im Grunde eine interaktive Kategorie, ist mit Repräsentativität die Bedeutung des Inhaltes einer Vermittlungssequenz von der Sache her gemeint: Welche Bedeutung hat das heute zu Vermittelnde im Fach, im Lernbereich, wofür steht es, wie weit reicht seine Bedeutung, wo liegen seine Grenzen? Das Ganze zu sehen und am Detail arbeiten zu können, dies ist wohl das große Kunststück. Man kann sich im Detail verlieren und man kann im oberflächlichen Überblick verfangen bleiben (man weiß alles und gar nichts!). Repräsentativität kann das Detail verorten. Der Lernende kann Wichtigkeiten und Beiläufigkeiten, Allgemeines und Spezielles über diese Kategorie einschätzen lernen.
Manfred Bönsch
Literatur
Apel, H. J.: Präsentieren – die gute Darstellung, Baltmannsweiler, 2002
Bönsch, M.: Variable Lernwege. Ein Lehrbuch der Unterrichtsmethoden, St. Augustin, 2018, 5. Aufl.
Bönsch, M.: Produktives Lernen mit differenzierenden Unterrichtsmethoden, Braunschweig, 2013
Glöckel, H.: Vom Unterricht, Bad Heilbrunn, 2003, 4. Aufl.
Hartmann, M. / Funk, R. / Nietmann, H.: Präsentieren, Weinheim, 2012,
9. Aufl.
Hattie, J.: Lernen sichtbar machen, Baltmannsweiler, 2014, 2. Aufl.
Langer, I. / Schulz von Thun, F. / Tausch, R.: Verständlichkeit, München/Basel, 1994
Will, H.: Mini-Handbuch Vortrag und Präsentation, Weinheim, 2011, 7. Aufl.