LuSh – Ausgabe 01/2021 – Aus dem SLLV – Stellungnahme zur Gleichwertigkeit der Schulformen im Rahmen der Expertenkommission
Stellungnahme zur Gleichwertigkeit der Schulformen
im Rahmen der Expertenkommission
Sehr geehrte Frau Ministerin Streichert-Clivot,
sehr geehrte Frau Dr. Andres,
sehr geehrte Mitglieder der Expertenkommission,
der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme.
Lassen Sie mich zunächst Grundsätzliches festhalten: Der Weg zum neunjährigen Abitur steht seit Einführung der Gemeinschaftsschulen im Jahr 2012 allen Schüler*innen offen. Die beruflichen Schulen erweitern diese Möglichkeiten zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nach neun Jahren. Durch die Durchlässigkeit und den Weg zu unterschiedlichen Abschlüssen führt die Gemeinschaftsschule zu mehr Bildungsgerechtigkeit und bietet somit Chancen, die nicht unbedingt Ziel eines (auch nicht neunjährigen) Gymnasiums sind bzw. sein werden. Der SLLV weist darauf hin, dass die Gemeinschaftsschule nicht nur auf eine „echte“ Studierfähigkeit hinarbeitet, sondern die Schüler*innen zweigleisig auf die Lebensfähigkeit nach der Schule vorbereitet: einmal die Studierfähigkeit, andererseits aber auch auf eine Berufsfähigkeit, die zunehmend einer allgemeinen Hochschulreife bedarf.
Gleichwohl ist es noch nicht überall angekommen, dass im Saarland ein Zentralabitur abgelegt wird, beziehungsweise es wird unterstrichen, dass sich zwei Drittel der Abiturnote über die Vornote errechnen. Dies ist allerdings an allen Schulen der Fall, die zur allgemeinen Hochschulreife führen. Um hier einem Missbrauch vorzubeugen, wurde die mündliche Abweichungsprüfung eingeführt. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig, aus dem Bildungsministerium konkrete Zahlen zu erhalten, um den Abiturdurchschnitt an Gymnasium mit denen der anderen Schulformen vergleichen zu können und eine verlässliche Aussage über die Abbrecherquote an den unterschiedlichen Schulformen auf dem Weg zum Abitur tätigen zu können. Es ist bereits durch Studien belegt, dass an den Gemeinschaftsschulen eine Vielzahl von Schüler*innen einen höheren Abschluss erzielen, als ihnen aufgrund ihrer Schullaufbahnempfehlung prognostiziert wurde. Dies wird leider von einigen Gruppierungen fehlinterpretiert, denn es ist nicht allein auf die Notenvergabe oder die Reduzierung der Prüfungsanforderungen zurückzuführen. Es kann der besonderen Förderung geschuldet sein und auch der Tatsache, dass einige Schüler*innen einfach länger brauchen, bis sich ihre volle Leistungsbereitschaft und -fähigkeit zeigt.
Zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Gemeinschaftsschule
- „Lernen lernen“ und der Klassenrat sind an den Gemeinschaftsschulen bereits seit Jahren etabliert, um den Schüler*innen notwendige Kompetenzen und Lerntechniken näherzubringen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihre Selbstwahrnehmung zu schulen (Gymnasien haben das Projekt Lions Quest).
- Mehrsprachigkeit wird gefördert. Aber dies kann einige Schüler*innen der Gemeinschaftsschule auch überfordern, deshalb fordert der SLLV, dass G-, E- und A-Kurse wieder getrennt voneinander unterrichtet werden können, um Schüler*innen für jeden Abschluss gezielt fördern zu können. Auch die Gemeinschaftsschulen haben Schüler*innen, die von Anfang an gefordert werden können, denn dieser Schulform wird oft vorgeworfen, ihr Niveau sei zu niedrig.
- Die Gemeinschaftsschule zeichnet sich durch Praxisnähe aus. Die Berufsfähigkeit wird bei uns derzeit durch Praktika, berufsorientierte Tage, eine Kooperation mit der Arbeitskammer (Arbeitswelt und Schule) und die Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen gefördert. Das Fach Beruf und Wirtschaft ist dabei ein weiterer wichtiger Schritt, Arbeitslehre und Informatik verfolgen das gleiche Ziel. In diesem Zusammenhang ist es für Schüler*innen aller Schulformen wichtig, über lebensnahe Dinge, wie das Eröffnen eines Kontos oder die Notwendigkeit von Versicherungen, Bescheid zu wissen.
- Das zu belegende Seminarfach in der Oberstufe vermittelt wichtige Kompetenzen wie das freie Reden, das wissenschaftliche Arbeiten oder die Organisation von Veranstaltungen.
- Projekttage sind oftmals bereits Teil der Schulkonzepte, um gemeinnützige und gesellschaftsrelevante Gedanken zu verankern (Nachhaltigkeit, UNESCO, Schule ohne Rassismus u. v. m.).
Es bedarf einiger Voraussetzungen, um die Gegebenheit für die Gleichwertigkeit zu schaffen. Wenn das Gymnasium eine Verlängerung der Schulzeit will, so muss es einem guten Gemeinschaftsschulschüler auch möglich sein, gemäß seinen Fähigkeiten gefordert zu werden. Der Grundsatz der Gemeinschaftsschule heißt nicht ohne Grund: „Fördern und fordern.“
Dazu gehört, dass es bereits in Unter- und Mittelstufe möglich sein muss, diese Schüler*innen im A-Kurs zu unterrichten. Analog zu den Sprachen müssen ebenso die Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften wieder in ihre Kernfächer aufgebrochen werden.
Es ist unstrittig, dass die Medienkompetenz an allen Schulformen zu verbessern ist. Dies bedarf technischer Voraussetzungen in vielerlei Hinsicht, aber auch verstärkter Leh-
rerfortbildung und vor allem Lehrerausbildung. Die Studienkombination Informatik und Schulfach ist noch rar.
Das Referendariat braucht mehr Zeit, um junge Menschen auf den anspruchsvollen und verantwortungsvollen Beruf des Lehrers vorzubereiten. Es reichen nicht nur fachliche und didaktisch-methodische Kompetenzen, auch bei der Lehrkraft kommt es auf soziale Kompetenzen an.
Die Gemeinschaftsschule ist sehr breit aufgestellt, nicht zuletzt dank einer Vielzahl von engagierten Lehrkräften, die eine Vielzahl von Projekten organisieren und betreuen. Hier fordert der SLLV mehr Stundendeputate bzw. Funktionsstellen analog zu den Gymnasien.
Nach einer intensiven Weiterentwicklung erfreut sich die Gemeinschaftsschule einer immer größeren Akzeptanz in der Gesellschaft, da sie alle Abschlüsse anbietet. Und ja, alle Schulformen müssen sich weiterentwickeln und profitieren von
- kleineren Klassen und Kursen, um der heterogeneren Schülerschaft gerecht zu werden,
- multiprofessionellen Teams,
- besserer digitaler Infrastruktur
- sowie besserer digitaler Ausstattung per se.
Wir bereiten Schüler*innen auf ihre Zukunft vor, sind aber digital weit zurück. Nun ist Technik nicht alles.
In der Runde wurde immer wieder moniert, dass Gleichwertigkeit kein geeigneter Begriff für die Diskussionen in der Expertenkommission sei, sondern Inhalte essenziell sind. Dem ist zum Teil zuzustimmen, aber es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass unsere Schülerschaft mit dem Erwerb der Hochschulreife eine allgemeine Befähigung erlangen soll, sich möglichst anpassungsfähig für unterschiedliche Bereiche zu zeigen. Das Erlernen eines Berufes, der lebenslang ausgeübt wird, entwickelt sich zum Auslaufmodell. Natürlich wird es immer Spezialisten in den unterschiedlichsten Bereichen geben, die sich durch ein Expertenwissen hervortun. Aber sie sind die Ausnahme gegenüber der Masse an Berufstätigen, deren Berufsbiografie sich wandelt. Wir wissen längst, dass lebenslanges Lernen erforderlich ist.
Es geht darum, den Schüler*innen eine Vielzahl von Werten und Kompetenzen zu vermitteln, und da ist die Gemeinschaftsschule breit aufgestellt.
Mit freundlichen Grüßen
Elke Boudier
(stellvertretende Landesvorsitzende des SLLV und Referentin für Gemeinschaftsschule)