Impulsbeitrag – Landesparteitag Bündnis 90/Die Grünen Saarland
Impulsbeitrag – Landesparteitag Bündnis 90/Die Grünen Saarland
Dominik Schwer, SLLV, 8. November 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Delegierte,
ich freue mich, heute hier sein zu dürfen, um mit Ihnen über den Zustand und die Zukunft unseres Bildungssystems zu sprechen. Das ist eigentlich immer ein sehr dankbares Thema, denn über Bildung reden bekanntlich viele, eigentlich alle – kein Wunder, Schule hat schließlich jeder erlebt. Aber was viele nicht auf dem Schirm haben:
Schule heute ist nicht mehr die, die sie einmal war. Der Alltag in unseren Klassenzimmern ist mittlerweile ein einziger Kraftakt – Tag für Tag, für Kinder UND für Lehrkräfte.
Und das zeigt sich auch überall:
– an den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends: die sind unterdurchschnittlich.
– am Lehrkräftemangel: der ist massiv.
– am Zustand vieler Schulgebäude: die sind leider vielerorts nicht so massiv
Doch am deutlichsten spürbar wird dieser Kraftakt im Klassenzimmer, wo wir Lehrkräfte versuchen, allen Kindern gerecht zu werden – Kindern, die fließend lesen, und solchen, die kaum ein Wort verstehen, hochbegabten Kindern und Kindern mit Förderbedarf, zurückhaltenden, stillen Kindern und solchen mit massiv herausfordernden Verhaltensweisen.
Allen Kindern gerecht zu werden – das ist und bleibt unser Anspruch. Aber für viele Kolleginnen und Kollegen ist das zur ständigen Überforderung geworden –Weil es ein täglicher Balanceakt ist, der immer seltener gelingt.
Das Tragische daran ist:
Diese ständige Überlastung trifft gerade die Kinder,
die ohnehin schon vom ersten Schultag an im Nachteil sind –
weil sie zu Hause weniger Unterstützung haben,
weil Sprache, Armut oder Herkunft ihnen Steine in den Weg legen.
Genau dort, wo Schule eigentlich ausgleichen müsste,
verstärkt sie oft noch die Unterschiede.
Wir stehen an einem Punkt, an dem Schönreden nicht mehr hilft.
Aber Jammern hilft genauso wenig.
Und deshalb will heute gar nicht so viel sprechen über das, was schlecht läuft –
ich möchte heute mit Ihnen über das sprechen, was dringend besser gemacht muss.
Denn Bildung im Saarland ist nicht verloren.
Sie ist gestaltbar,
wenn wir ehrlich hinschauen,
und sie mit Plan, Mut und Verstand anpacken.
Ich bin Sonderpädagoge.
Und ich weiß:
Bevor man fördert, muss man verstehen.
Am Anfang jeder Förderung steht eine fundierte Analyse –
nicht nur des Kindes,
sondern seines gesamten Umfeldes.
Keine Lehrkraft würde ins Blaue fördern.
Aber genau das passiert in der Bildungspolitik – seit Jahrzehnten.
Es wird geflickt, geschoben, gestrichen –
hier ein Projekt, dort ein Pilotversuch,
heute dieses Rundschreiben, morgen jener Erlass.
Aber nichts davon greift ineinander.
Alles bleibt Stückwerk.
So baut man kein Bildungssystem, im Gegenteil:
So beschäftigt man das Bildungssystem mit sich selbst.
Was wir stattdessen brauchen, ist eine ehrliche und fundierte Analyse:
Was läuft schief – und warum?
Was brauchen unsere Schulen – und wer trägt Verantwortung?
Und darauf aufbauend muss ein klarer, langfristiger Entwicklungsplan gestaltet werden.
Mit klaren Zielen, Zwischenschritten und Zuständigkeiten.
Und dabei braucht es nicht nur Schulen, Träger und Ministerium,
sondern auch Kitas, Elternhäuser, Jugendhilfe und Politik –
alle, die an Bildung mitwirken.
Das alles Entscheidende an diesem Plan ist jedoch: Dieser Plan muss parteiübergreifend tragen. Er darf nicht im Wechsel der Wahlperioden enden.
Was die eine Regierung aufbaut,
wird von der nächsten wieder eingerissen –
diesen Teufelskreis parteipolitischer Eitelkeiten erleben wir doch seit Jahrzehnten, nicht nur hier im Saarland, meine Damen und Herren und nicht nur im Bildungsbereich.
Aber gerade Bildung darf kein Parteiprojekt sein –
sie scheitert genau dann, wenn sie zu einem gemacht wird.
Dass es auch anders geht, zeigt Hamburg.
Dort hat man damals den sogenannten Schulfrieden geschlossen –
parteiübergreifend, evidenzbasiert, langfristig.
Heute steht Hamburg stabil da –
nicht perfekt,
aber mit Kurs.
Warum?
Weil man dort mit Plan baut und
nicht mit Pflaster klebt.
Natürlich ist das Saarland nicht Hamburg –
aber wir können doch aus guten Ideen lernen und sie an unsere Gegebenheiten anpassen.
Wenn wir beginnen, Bildung als gemeinsame, faktengeleitete Zukunftsaufgabe zu verstehen,
dann kommen wir raus aus dem Reparaturmodus und hin zum Gestalten.
Aber dazu brauchen wir Bildungspolitik mit Statik –
gebaut auf Erkenntnis, nicht auf Meinung oder Parteibuch.
Natürlich ist ein solcher Plan kein Allheilmittel. Er kann nur funktionieren, wenn er die zentralen Voraussetzungen an unseren Schulen mitdenkt.
Wir brauchen
- mehr Personal
- faire Bezahlung
- Flächendeckende Frühförderung
- einen Studiengang Sonderpädagogik
Das ist keine Wunschliste.
Das ist das Minimum,
damit Schule überhaupt funktionieren kann.
Und jetzt Hand aufs Herz:
Wir wissen alle, woran es aktuell scheitert.
Nicht an fehlendem Wissen.
Nicht an fehlenden Ideen.
Sondern daran, dass man im Bildungsministerium lieber den Schein wahrt als die Realität anerkennt.
Man spricht von besetzten Stellen –
aber viele dieser Stellen sind besetzt mit Menschen,
die noch nicht einmal ausgebildete Lehrkräfte sind.
Das ist kein Konzept.
Das ist Krisenverwaltung.
Und genau deshalb brauchen wir keinen weiteren Aktionismus,
sondern Ehrlichkeit.
Keine Zahlenkosmetik – sondern einen langfristigen, verbindlichen Plan,
der über Wahlperioden hinaus trägt und sich nicht nur auf Schule beschränkt:
Kitas, Schulen, Elternhäuser, Jugendhilfe, Politik –
alle müssen sich bewegen.
meine Damen und Herren.
Wenn die Schule der Ort ist,
an dem am Ende alles zusammenläuft,
dann darf sie nicht der Ort sein,
an dem alles abgeladen wird,
Liebe Delegierte,
Ihr Antrag enthält viele Ideen, die in die richtige Richtung gehen –
etwa die unabhängige Instanz zur Analyse und Steuerung.
Das begrüßen wir ausdrücklich.
Denn genau das braucht es:
Einen klaren Blick – und dann mutiges Handeln.
Als Saarländischer Lehrerinnen- und Lehrerverband freuen wir uns über den guten Austausch mit ihrer Partei und wir suchen und pflegen den Dialog mit allen demokratischen Kräften – weil das Saarland dringend mehr, vielfältigere und mutige bildungspolitische Impulse braucht.
Nicht nur deshalb wünschen wir uns für den nächsten Landtag
ganz viel bunt, ganz wenig blau.
…mit Blick auf ihren Antrag zum Thema Bildung sage ich:
Ein ordentlicher Schuss Grün
täte der Bildungspolitik im Saarland sicherlich gut.
Liebe Delegierte,
lassen Sie mich Ihnen abschließend eines mit auf den Weg geben:
Kinder brauchen Verlässlichkeit. Und das können nur Sie geben.
Nicht mit schnellen Überschriften – sondern mit Mut zur langfristigen Verantwortung.
Bildung ist kein Projekt für Legislaturen.
Bildung ist ein Projekt für Generationen.
Vielen Dank.
