LuSh – Ausgabe 11-12/2023 – RECHT ausführlich – Aufsichtspflicht
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mich in den kommenden Ausgaben dieser Schriftreihe mit den weiteren Rechten und Pflichten von Lehrerinnen und Lehrern auseinandersetzen. Dabei ist es mir wichtig, Sie nicht mit irgendwelchen abstrakten Dingen zu beschäftigen oder Ihnen beamtenrechtliche „Schmöker“ in die Hand zu drücken, sondern Ihnen konkret das Thema näherzubringen.
Hier spielt das breite Themenfeld „Aufsichtspflicht“ eine wichtige Rolle.
Fürsorgepflicht und Aufsichtspflicht sind dabei untrennbar verbunden. Das leider wenig bekannte Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) wurde als Artikel 1 des Bundeskinderschutzgesetzes (BKiSchG) am 27. Oktober 2011 verabschiedet und gilt seit dem 1. Januar 2012. Es verpflichtet Lehrkräfte gesetzlich, tätig zu werden bei Verdacht auf Verwahrlosung, Misshandlung oder Missbrauch. Es stellt damit klar, dass das „Wächteramt“ der Schule nicht am Schultor endet, sondern auch Geschehnisse im Elternhaus oder darüber hinaus zu beobachten hat. In allen drei o. g. Fällen ist es die Pflicht der Lehrkraft, das Jugendamt (am besten schriftlich auf dem Dienstweg, mithin über die Schulleitung) zu informieren. Zuvor sollte zwingend ein klärendes Gespräch mit den Erziehungsberechtigten erfolgt sein, in dem Sie diese ruhig und sachlich mit den Verdachtsmomenten konfrontiert haben. Dieses Gespräch sollte ggf. mit einer weiteren Lehrkraft erfolgen, die ebenfalls mit dem betroffenen Kind zu tun hat, und sollte dokumentiert werden. Lässt sich der Verdacht trotz kritischer Befassung in dem Gespräch nicht ausräumen, so sollten Sie sich über die Schulleitung an das Jugendamt wenden. Sie sind damit Ihren Pflichten aus dem KKG nachgekommen. Bis die Dinge abschließend geklärt sind, sollten Sie dringend diskret mit der Angelegenheit umgehen. Nicht jeder Verdachtsfall stellt sich als realer Fall dar. Die Folgen für die Betroffenen können dennoch sehr weitreichend, wenn nicht gar existenzbedrohend sein. Umgekehrt muss einem konkreten Verdacht nachgegangen werden.
Die Aufsichtspflicht der Lehrkräfte wird im Münchener Kommentar zum BGB wie folgt beschrieben: „Den Lehrern obliegt die Amtspflicht gegenüber den ihnen anvertrauten Schülern, jene vor Schäden zu bewahren. Das gilt etwa auch für die Schulausflüge. Diese Aufsichtspflichten bestehen unter bestimmten Voraussetzungen aber auch gegenüber Dritten: Geschützt sind alle diejenigen Personen, auf die sich das zu beaufsichtigende Verhalten der Schüler auswirken kann, also etwa
Verkehrsteilnehmer, die durch Spiele, sportliche Betätigungen oder ähnliches Verhalten der Schüler gefährdet werden“ (BGB § 839 Rn. 316, Haftung bei Amtspflichtverletzung, Papier/Shirvani Münchener Kommentar zum BGB).
Grundsätzlich muss die Aufsicht lückenlos in dem Sinne sein, dass sich die Schüler stets beaufsichtigt fühlen. Die Aufsichtspflicht erstreckt sich grundsätzlich nur auf das Schulgelände und die verbindlichen Schulveranstaltungen. Der Schulweg ist hiervon nicht betroffen, allerdings die Zuwegungen und Bushaltestellen in unmittelbarer Umgebung der Schule schon. Man spricht immer mal wieder von der 200-m-Grenze in diesem Zusammenhang. Die Aufsichtspflicht ist stets dann besonders wichtig, wenn die Schülerinnen und Schüler vermeintliche Freizeit haben, nämlich in (den außerhalb der Unterrichtsrandzeiten liegenden) Freistunden und in den Pausen. Welche Aufsichtsmaßnahmen angemessen sind, hängt von den konkreten Umständen ab. Entscheidend sind hier das Alter der Schülerinnen und Schüler sowie das Gefährdungspotenzial der konkreten Veranstaltung.
Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen sind während des Unterrichts gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII durch die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert.
Das gilt auch auf dem Schulweg (auch die Mitnahme im Pkw!) und im Rahmen von Betreuungsangeboten der Schule sowie außerunterrichtlichen Veranstaltungen der Schule. In Fällen von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz kann die gesetzliche Unfallversicherung beim Dienstherrn Regress verlangen, der sich wiederum bei der Lehrkraft schadlos hält.
Ich rate daher allen Lehrerinnen und Lehrern zum Abschluss einer Diensthaftpflichtversicherung, um zumindest den finanziellen Schaden abzudecken. Die Kosten für eine solche Versicherung sind selbstverständlich vollständig als Werbungskosten in der Steuererklärung absetzbar.
Vorsatz bedeutet dabei den Willen zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner Tatumstände. Vorsatz nimmt man bereits beim sog. bedingten Vorsatz an. Dieser beginnt, wenn der Täter denkt: „Na wennschon.“ Natürlich bezahlt keine normale Versicherung in diesem Fall.
Anders, wenn die Lehrkraft etwas fahrlässig begeht. Fahrlässigkeit bedeutet, dass man bei Eintritt und Verursachung des tatbestandlichen Erfolges die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Hierdurch wird die einfache Fahrlässigkeit definiert. Grobe Fahrlässigkeit ist ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den ganzen Umständen in einem ungewöhnlich hohen Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen, so die Definition des Bundesgerichtshofes. Man könnte auch sagen: „Ich ahne den Schaden, aber es wird schon nix passieren.“
In Fällen des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit kann und wird der Dienstherr Sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften in Regress nehmen. In den Fällen der groben Fahrlässigkeit schützt Sie der Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung vor den finanziellen Folgen einer derartigen Inanspruchnahme.
Und nun zur Ausgestaltung der Aufsichtspflicht. Die konkrete Aufsichtspflicht trifft grundsätzlich den konkreten Fachlehrer. Aber auch wenn Sie als für den konkreten Schüler nicht verantwortlicher Lehrer ein Gefährdungspotenzial erkennen, so haben Sie die Pflicht zum Einschreiten. Das gilt zum Beispiel auch für eine Klasse nebenan, die gerade eine Freistunde hat und „außer Rand und Band“ zu geraten droht.
Ein wichtiges Urteil zur Beweislast in Aufsichtsfällen hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2012 gefällt (BGH, Urteil vom 13.12.2012 – III ZR 226/12 –). Kurz und knapp zusammengefasst: Sie müssen später nachweisen, dass Sie Ihrer Aufsichtspflicht nachgekommen sind! Konkret bedeutet dies: Zeigen Sie sich auf dem Pausenhof! Werden Sie sichtbar und zeigen Sie, dass Sie Ihrer Aufsichtspflicht nachkommen! Sichern Sie sich durch Ihre einprägsame Präsenz ab! Gerade bei der Pausenaufsicht sollten Sie nicht als unwahrnehmbarer stiller Beobachter in der Ecke stehen, sondern als wachsamer und aufmerksamer Beobachter!
Für gefahrgeneigte Tätigkeiten und gefahrgeneigten Unterricht gilt: Informieren Sie sich über besondere Vorgaben und Vorschriften (auch Verordnungen oder Erlasse) und halten Sie diese strikt ein. Diese existieren insbesondere für die Fächer Sport, Chemie, Physik oder Technik. Gibt es diese nicht in Ihrem Schulbereich, so sollten Sie dennoch gerade in diesen „gefährlicheren“ Fächern besondere präventive Vorkehrungen treffen und wachsam sein. Im Schießsport wird dem angehenden Schützen eingebläut: „Jede Waffe ist scharf / die meisten Unfälle passieren mit einer ungeladenen Waffe.“ Dies sollten Sie sich auch in Ihrer Dienstausübung, besonders in gefahrgeneigten Tätigkeiten, zu Herzen nehmen.
Übernehmen Sie nur Tätigkeiten, für die Sie ausgebildet sind. Es ist keine gute Idee, den Sportunterricht mal eben so zu übernehmen oder beim Schwimmen die Aufsicht, wenn man hierzu keine explizite Qualifikation hat.
Haben Sie die entsprechende Qualifikation, so bestimmen Sie klare Regeln, die der Sicherheit dienen. Können Sie (auch kurzfristig) die Aufsicht nicht wahrnehmen, bitten Sie einen Kollegen, ein Auge auf Ihre Schülerschaft zu halten, oder brechen Sie die Maßnahme ganz ab. Die Unfallverhütung obliegt Ihnen und der Zufall ist ein Eichhörnchen!
Zu den Aufsichtspflichten bei Klassenfahrten u. Ä.
verweise ich auf meinen Beitrag im Heft Juli/August.
Ihr
Arnold W. Sonntag
Zur Person:
Arnold W. Sonntag, Jahrgang 1973, seit über 13 Jahren Justiziar im Landesvorstand des dbb saar, nebenberuflich lange Jahre Dozent an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, an der Fachhochschule für Verwaltung des Saarlandes, an der Verwaltungsschule des Saarlandes und der dbb akademie. Nebenamtliches Mitglied im saarländischen Landesprüfungsamt für Juristen. Seit 2008 in der Landesverwaltung tätig, davon rund 8 Jahre Rechtsanwalt in einer mittelständischen Kanzlei.