LuSh – Ausgabe 0304/2023 – Aus dem SLLV – Massive Lücken im Kollegium
Massive Lücken im Kollegium
Der Personalmangel an den Schulen ist so groß, dass Lehrkräfte auch im Saarland immer stärker darunter leiden. Ein Blick auf die KMK-Statistik zeigt, die Länder sind sehenden Auges in die Krise gestolpert. Entlastung ist erst mal nicht in Sicht.
„Sobald jemand krank ist, spüren wir das massiv im Kollegium“, berichtet Stefanie Leist, Schulleiterin an der Grundschule Theley in der Gemeinde Tholey. „Vertretungslehrkräfte frage ich schon gar nicht mehr an, es sei denn, es handelt sich um einen Langzeitausfall.“
Der Personalmangel an den Schulen ist rieisig. Wie soll ein geregelter Unterricht aufrechterhalten werden, angesichts einer riesigen Lücke im Kollegium? Das fragt sich nicht nur Leist, die sich mit Ihrer Grundschule im ländlichen Umfeld noch in einer relativ guten Lage befindet. (Auch die versprochene Zusatzförderung wegen der Corona-Ausfälle erweist sich als schwer erhältlich. Stefanie Leist waren eigentlich außerplanmäßige Förderstunden versprochen. Diese kamen aber nie an ihrer Schule an) Eine weitere Förderschullehrkraft sollte das Stundenbudget der Schule eigentlich aufstocken, war während der letzten drei Jahre wegen ständiger Corona-Ausfälle aber nur selten bis gar nicht vor Ort. Die zugesagten Stunden kamen somit nicht an der Schule an.
Generell ist die Personaldecke an den Schulen aktuell so eng gestrickt, dass der Ausfall einer Lehrkraft oder gar mehrerer Lehrkräfte in vielen Fällen nur sehr schwer zu kompensieren ist. Und das nicht erst seit gestern. Einen Ersatz für ausgefallene Lehrkräfte gebe es nicht mehr, die mobile Reserve sei im strukturellen Einsatz, beispielsweise zur Vertretung von schwangeren Lehrerinnen oder tatsächlich in Langzeitausfällen eingebunden. Das berichtetete der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) schon am Anfang des Schuljahres. Das war der letzte laute Hilferuf. Aber seit vielen Jahren weist der Verband auf den bestehenden und sich immer mehr verstärkenden Lehrkräftemangel hin und fordert wirksame Maßnahmen von den verantwortlichen Bildungspolitikern.
Zu wenige Studienplätze vorhanden
Wie konnte es so weit kommen? Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Länder schon seit Jahren zu wenige Lehrkräfte ausbilden. Keineswegs blind sind die Verantwortlichen damit in eine Falle getappt, die sie sich selbst gestellt haben. Denn die Länder sind gleichzeitig für die Ausbildung wie für die Lehrereinstellung verantwortlich.
Die Statistik der Kultusministerkonferenz (KMK) zeigt, dass es bereits seit 2015 mehr freie Lehrerstellen gibt, als ausgebildet wurde. 2019 lag etwa die Quote der freien Stellen gegenüber den fertigen Lehramtsanwärtern bei 125 Prozent. Die Länder stellen also seitdem massiv Seiten- und Quereinsteiger ein oder lassen die Stellen unbesetzt.
Gleichzeitig steigen die Geburtenzahlen jedes Jahr an. Wurden 2011 noch insgesamt 663.000 Kinder geboren, stiegen sie bis zum Jahr 2021 auf mehr als 795.000 Kinder. Das merken die Grundschulen jetzt. Hinzu kam im letzten Jahr die hohe Zahl der Flüchtlingskinder aus der Ukraine. Daher gab es 2022 so viele Erstklässler wie seit 17 Jahren nicht mehr.
Auch an der Grundschule Theley findet man diesen Anstieg der Schülerzahlen bei den jüngeren Jahrgängen. In den Klassenstufen 1 und 2 bildete die Schulleitung drei Klassen, in den Klassen 3 und 4 dagegen nur zwei. Hinzu kommen immer wieder ungeplante zusätzliche Kinder. Von 215 Schülerinnen und Schülern stammen aktuell 15 aus der Ukraine und zwei aus Afghanistan – allesamt mit null Deutschkenntnissen.
„Die genaue Anzahl der Kinder ist schwer planbar“, bestätigt Leist. Umso wichtiger wäre es von seitens des Dienstherrn, eine gewisse Reserve an Lehrerstunden vorzuhalten. Eine sogenannte Springkraft im Hinblick auf Lehrerausfälle oder auch zusätzliche Förderung wäre traumhaft, sagt die Schulleiterin.
Immer weniger Lehramtsstudierende
Der Entwicklung der steigenden Schülerzahlen stehen immer weniger Erwachsene gegenüber. Die Zahl der Schulabsolventen mit Fachhochschulreife und Hochschulreife sinkt. Laut KMK fiel sie von 445.000 im Jahr 2015 auf 399.000 im Jahr 2022. Nach Schätzungen nimmt unter den Studierenden auch noch die Zahl der Lehramtsabsolventen ab. Als Begründung schreibt die KMK in ihrer Stellungnahme zum Lehrkräftemangel: „Der Lehrkräftemangel hat in erheblichem Maße demografische Ursachen und ist Teil des allgemeinen Fachkräftemangels.“
Vor diesem Hintergrund ist es wenig verständlich, warum es immer noch NC-beschränkte Lehramtsstudiengänge gibt. Auf der Website der Universität des Saarlandes heißt es aktuell: „Alle Lehramtsfächer unterliegen derzeit Zulassungsbeschränkungen.“ Im Jahr 2017/2018 lag der NC beim Grundschullehramt beispielsweise bei 1,8.
Vorschläge der Kultusministerkonferenz fallen durch
Nachdem lange nichts geschehen ist, erkennt die Politik nun plötzlich den dringenden Handlungsbedarf. Am Freitag, dem 27. Januar, legte die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel vor. Die Wissenschaftler sehen das größte Potenzial in der Erhöhung der Teilzeit. 49 Prozent der Lehrkräfte arbeiteten demnach in Teilzeit. Die Empfehlung an die Länder lautet: Bei diesem Personenkreis sollte die Reduktion auf unter 50 Prozent der Arbeitszeit nur aus besonderen Gründen möglich sein, ebenso sollten Sabbaticals befristet eingeschränkt werden.
Auch an der Grundschule Theley arbeiten nur vier von rund 14 Personen des Kollegiums in Vollzeit. Michaela Günther, stellvertretenden SLLV-Landesvorsitzende empört sich über den Vorschlag: „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Pflege von Angehörigen und eigene gesundheitliche Einschränkungen sind gute Gründe dafür, nicht mit vollem Stundendeputat zu arbeiten. Oftmals ist es auch die enorme Arbeitsbelastung, die ein volles Stundendeputat verhindert. Das hören Bildungspolitiker allerdings sehr ungern.“
Größere Klassen keine Option
In Bezug auf die Klassengrößen empfiehlt die SWK, zunächst die definierten Obergrenzen auszuschöpfen. Wenn andere Maßnahmen ausgereizt sind, dürfe in der Sekundarstufe I auch eine befristete Erhöhung der maximalen Klassenfrequenz nicht ausgeschlossen werden. Dieser Vorschlag, stößt bei Grundschulleiterin Leist auf Unverständnis. Sie sagt: „Wir kämpfen ja eigentlich für kleinere Klassen. Bei uns dürfen bis zu 29 Kinder in den Klasse sitzen. Das ist jetzt schon zu viel. Man wird den Kindern nicht mehr gerecht.“ Das kleinere Klassen möglich sind, machten andere Bundesländer vor. In Rheinland-Pfalz, dem Nachbarland, dürften in einer Grundschulklasse nicht mehr als 24 Kinder sitzen.
So große Klassen sind vor allem ein Problem, wenn Lehrkräfte von multiprofessionellen Teams immer noch nur träumen dürfen. Im Kollegium von Leist kommen auf 12 Lehrkräfte, eine Sprachförderkraft mit 15 Stunden, eine Förderlehrerin mit 20 Stunden und eine Sozialarbeiterin an zwei Vormittagen in der Woche. Das ist ein Anfang, aber noch lange kein multiprfessionelles Team.
Entlastung durch Nicht-Pädagogen
Auch die Entlastung der Lehrkräfte von Aufgaben, die nicht direkt mit dem Unterricht zusammenhängen, wie die Betreuung von Fachräumen oder der IT-Infrastruktur, kann dazu beitragen, dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Diese Aufgaben kann Nicht-pädagogisches Personal übernehmen, empfiehlt die SWK. Schulleiterin Stefanie Leist wünscht sich vor allem mehr Bürostunden als Schulleiterin. Neun Bürostunden reichen für die Verwaltung nicht aus, v.a. wenn diese zeitweise auch noch für Vertretungsunterricht genutzt werden müssen, sagt sie. Leist hat noch einen weiteren konkreten Vorschlag, wie mehr qualifizierte Lehrkräfte für die Grundschule gewonnen werden können. „Natürlich gibt es kein Wundermittel gegen den Lehrkräftemangel. Das Grundschullehramt würde jedoch erheblich an Attraktivität gewinnen, wenn wir Grundschulmitarbeiter endlich auch im Saarland mit den anderen Schulformen gleichgestellt würden und es mindestens E13 bzw. A13 für alle geben würde.“
Gegen den Lehrkräftemangel in den Schulen …
Attraktivität des Berufsbildes steigern (vor allem bei Grund- und Förderschullehrkräften):
- Werbung für Lehrkräfteausbildung in Abschlussklassen der Gymnasien
- Gleichwertigkeit der Lehrämter bezüglich Ausbildung, Arbeitszeit und Bezahlung
- gerade Frauen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen
- Entlastung der Lehrkräfte bei pädagogischen und Verwaltungstätigkeiten durch echte multiprofessionelle Teams
- bessere Studienberatung der Lehramtsstudierenden bezüglich Schulformen und Fächerkombination
- engere individuelle Begleitung im Studium und Referendariat, um Abbrecherquoten zu reduzieren
- Verbesserung der Ausbildung: neben fachwissenschaftlicher Ausbildung Praxisbezug stärken
- attraktivere Rahmenbedingungen, z. B. durch bezahlte Schulpraktika in den Semesterferien
- Ausbau der Studienkapazitäten für Lehrämter
- sinnvolle Quer- und Seiteneinsteigerprogramme für Lehrämter (keine „Verwässerung“ der Profession durch kürzere und qualitativ minderwertiges Studium; Masterabschluss erforderlich)
- ausreichend Beförderungsämter
- Schluss mit „Schönrechnen“ und „Verschleiern“ des Lehrkräftemangels; ehrliche Prognosen
Nina Braun
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