LuSh – Ausgabe 10/2022 – VBE-Bund – DDG, diabetesDE und VBE: Schulgesundheitsfachkräfte sind sinnvoll, machbar und finanzierbar
Wie Schulgesundheitsfachkräfte an Grundschulen Inklusion leben, Bildungschancen erhöhen und Entlastung schaffen
DDG, diabetesDE und VBE: Schulgesundheitsfachkräfte sind sinnvoll, machbar und finanzierba
Berlin, September 2022 – egal ob ein aufgeschürftes Knie nach der großen Pause, Übelkeit während des Unterrichts oder gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen: Der Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften entlastet das System Schule. Die medizinisch ausgebildeten Fachkräfte können vielfältig eingesetzt werden und spielen außerdem eine entscheidende Rolle in der Lebenswelt von Kindern mit chronischen Erkrankungen. Wie Schulgesundheitsfachkräfte die Inklusion von Kindern mit einer Diabetes-Typ-1-Erkrankung möglich machen, Lehrende im Schulbetrieb entlasten und Sicherheit für Eltern bieten, diskutierten Expertinnen und Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), der diabetesDE – Deutschen Diabetes-Hilfe und des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) heute auf einer Pressekonferenz. Sie sprachen sich dafür aus, dass Prävention und Gesundheitsförderung an Bildungseinrichtungen gesundheitspolitisch vorangetrieben werden müssen, damit chronisch Kranke und deren Angehörige eine angemessene Unterstützung sowie bessere Bildungschancen erhielten. Doch auch wenn erste Pilotprojekte in Hessen und Brandenburg Erfolge erzielten, fehle auf Bundesebene bei den politischen Entscheidern noch immer ein klares Bekenntnis und der entschiedene Wille zur Durchsetzung. Gemeinsam formulierten die Referentinnen und Referenten den dringenden Appell, den Mehrwert durch die Unterstützung von Fachkräften anzuerkennen und deswegen bundesweit einheitliche Regelungen zu treffen.
Sie müssen besonders auf ihre Ernährung achten, sich regelmäßig den Blutzucker messen und auch Insulin spritzen: Durchschnittlich eines von 500 Kindern in Deutschland erhält die Diagnose Diabetes Typ 1. Für die jungen Betroffenen und auch ihre Eltern ändert sich danach das Leben grundlegend. „Wenn Kinder an einem Diabetes erkranken, müssen sie ihr Essen, die körperliche Bewegung und die Insulindosierung aufeinander abstimmen. Zumindest im Grundschulalter sind Kinder damit häufig überfordert“, weiß Professor Dr. med. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und kommissarischer ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen. „Allein die Interpretation ihrer Blutzuckerwerte stellt Kinder vor große Herausforderungen: Kann ich problemlos zu Mittag essen, wenn mein Blutzucker zuvor bei 167 liegt? Welche Insulindosierung passt zu diesem Blutzuckerwert?“ Fragen wie diese können meist auch Lehrerinnen und Lehrer nicht beantworten, denn die Gesundheitsversorgung gehört weder zu ihren Aufgaben, noch sind sie dafür ausgebildet. Das hat oft schwerwiegende Folgen: „Es gibt hierzulande noch keine ausreichenden und flächendeckenden Maßnahmen zur Inklusion und Integration von Kindern mit der Diagnose Diabetes Typ 1 in Bildungseinrichtungen. Das führt dazu, dass die jungen Patientinnen und Patienten immer wieder vom Regelschulbesuch ausgeschlossen werden“, erklärt Neu.
Oft schränken dann die Eltern, meist die Mütter, ihre Berufstätigkeit ein (15 Prozent Arbeitsstopp, 21 Prozent Zeitarbeit), um ihren Kindern zu helfen. 46 Prozent der betroffenen Familien berichten über relevante finanzielle Einbußen. Die zusätzlichen täglichen Aufgaben können zu alltäglichen, emotionalen und körperlichen Belastungen und Überforderungen der Eltern führen. Eine Lösung für dieses Dilemma gibt es: Schulgesundheitsfachkräfte. „Um die Diskriminierung von chronisch Erkrankten zu beenden und Kindern mit Diabetes Typ 1 eine reguläre Beschulung zu ermöglichen, setzen wir uns für diese medizinisch ausgebildeten Fachkräfte an allen Grundschulen ein. Denn sie können Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen adäquat versorgen und Eltern sinnvoll unterstützen“, sagt Dr. med. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender der diabetesDE – Deutschen Diabetes-Hilfe.
Dieser Forderung schließt sich Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), an. Er ist davon überzeugt, dass neben Schülerinnen und Schülern mit chronischen Krankheiten auch Lehrkräfte von den Schulgesundheitsfachkräften profitieren: „Aktuell benötigt fast ein Viertel der Kinder eine weitergehende medizinische oder therapeutische Unterstützung.“ Das hat eine begleitende Studie zum Modellprojekt „Schulgesundheitsfachkräfte“ der AWO Potsdam ergeben. „Wir sprechen also nicht von Einzelfällen, die Förderbedarf in einem oder mehreren Förderschwerpunkten haben oder Assistenz bei der Medikamentengabe benötigen.“ Der VBE sehe deswegen die Verantwortung, Kindern mit chronischer Erkrankung den Schulbesuch zu ermöglichen, nicht bei den Lehrkräften. „Die Politik ist in der Pflicht, die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen und ein professionelles Schulgesundheitsmanagement mit dafür ausgebildeten Schulgesundheitsfachkräften zu etablieren und zu finanzieren“, so Beckmann. Dies trage nicht nur der stetig steigenden Anzahl an chronisch erkrankten Kindern Rechnung, sondern fördere das Gesundheitsbewusstsein von Kindern allgemein.
Denn das medizinisch geschulte Personal ist auch allgemein ansprechbar in Gesundheitsfragen. Stehen keine Notfälle an, konzipieren die Schulgesundheitsfachkräfte Projekte, die die Gesundheit fördern, wie zur Ernährung, Bewegung oder zur Mundhygiene oder auch Präventionsprojekte zum Suchtmittel- oder Medienkonsum. „Angebote wie diese haben in dem Brandenburger Modellprojekt große Wirkungen auf Schülerinnen und Schüler entfaltet – bis hin in die Elternhäuser. So gaben beispielsweise gut 70 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler an, sich häufiger die Zähne zu putzen, seit die Schulgesundheitsfachkraft an der Schule tätig ist. Über die Hälfte stellte fest, sie würden sich seither mehr bewegen“, sagt Beckmann.
Eine Studie der Technischen Hochschule Mittelhessen hat eingesetzte Schulgesundheitsfachkräfte evaluiert – mit einem eindeutigen Ergebnis: Das Implementieren von Schulgesundheitsfachkräften ist sinnvoll, machbar und finanzierbar. Es fördert überdies die Inklusion von Kindern mit chronischen Erkrankungen. Zusätzlich entlasten sie das Schulsystem und tragen zur finanziellen Sicherheit von Familien bei. Die Experten sind sich einig: „Auch volkswirtschaftlich sind Schulgesundheitsfachkräfte eine lohnende Investition.“
Quellen:
- Informationen zum Modellprojekt Schulgesundheitsfachkräfte der AWO: Mehr Gesundheit im Schulalltag | Schulgesundheitsfachkräfte (schulgesundheitsfachkraft.de)
- Andrea Dehn-Hindenberg et. al, Long-term Occupational Consequences for Family of Children with Type 1 Diabetes: The Mothers Take the Burden, Diabetes Care 2021:44:2656-2663
- H. Sassmann, Wer ist gestresst, wann, warum und wie sehr? Elterliche Belastungen und Bedürfnisse in der Betreuung von Kindern mit Typ 1 Diabetes, Poster DDG 0522
Über die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG):
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit mehr als 9200 Mitgliedern eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der mehr als acht Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.
diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe ist die führende deutsche Gesundheitsorganisation für mehr als 8,5 Mio. Menschen mit Diabetes mellitus. Wir setzen uns aktiv für die Interessen und eine bessere Lebensqualität der Betroffenen, ihrer Angehörigen sowie der Risikopatienten ein.
Wir stellen die Menschen mit Diabetes in den Mittelpunkt und unterstützen daher Projekte, die über die Risiken einer Diabeteserkrankung aufklären, einer Erkrankung vorbeugen oder die Versorgung von Menschen mit Diabetes verbessern.
Wir mobilisieren den politischen Willen für notwendige Veränderungen im Hinblick auf eine bestmögliche Versorgung, frühzeitige Prävention und den Ausbau der Forschung. Unsere Vision ist, die Zahl von jährlich 600 000 Neuerkrankungen dauerhaft zu senken und bei allen Diabetes-Typen Folgeerkrankungen zu vermeiden.
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Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) vertritt als parteipolitisch unabhängige Bildungsgewerkschaft die Interessen von ca. 164.000 Pädagoginnen und Pädagogen – aus dem frühkindlichen Bereich, Primarstufe, Sekundarstufen I und II und dem Bereich der Lehrkräftebildung – in allen Bundesländern. Der VBE ist eine der beiden großen Bildungsgewerkschaften in Deutschland und mitgliederstärkste Fachgewerkschaft im dbb beamtenbund und tarifunion.
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