LuSh – Ausgabe 11/2021 – Dies und Das – Konzepte sozialen Lernens im Überblick
Konzepte sozialen Lernens im Überblick
Ausgang
Die Klage über das Verhalten von Schülerinnen und Schülern wird immer wieder geführt. Soziale Taubheit, Aggressivität, gar Gewalt scheinen zuzunehmen. Angesichts der Erosion von Werten und Normen, der Partikularisierung von Lebenswelten, der zunehmenden Individualisierung und Verinselung geraten die Verhältnisse und das Verhalten von Individuen öfter in Unruhe und Destruktion. Und so wird Beziehungsarbeit zu einem zentralen Anliegen der Schule. Stand die Arbeit an Unterrichtsinhalten stets im Vordergrund, müssen mehr und mehr erst einmal die Voraussetzungen, nämlich angenehme soziale Verhältnisse, geschaffen werden. So sind seit einiger Zeit Konzepte sozialen Lernens zunehmend wichtiger geworden. Im Folgenden werden sie in knapper Form in Erinnerung gerufen.
1. Konzept: Kooperatives Lernen
Unterricht hat immer eine inhalts- und eine beziehungsorientierte Komponente. Da Frontalunterricht die Kommunikationsmodi relativ schlicht halten muss (28 Schüler/-innen und 1 Lehrer/-in!), können die Varianten kooperativen Lernens den Unterrichtsalltag bereichern und das soziale Lernen befördern:
- Partnerarbeit führt zwei Schüler/-innen zu gemeinsamer Arbeit zusammen. Sie ist unkompliziert zu organisieren. Die gemeinsame Arbeit an einer Aufgabe oder tutorielle Hilfe eines guten Schülers für einen, der es schwerer hat, erfolgreich zu lernen, sind die bekanntesten Varianten. Lerntempoduett ist eine neuere Idee: Zwei etwa gleich starke Lerner erledigen eine Aufgabe und suchen sich dann einen neuen Partner. So kann das Lerntempo variieren, sich aber gleichzeitig optimieren. Die Annahme ist, dass sich die Lernarbeit bei wechselseitiger Anregung erfolgreicher gestaltet.
- Bekannt ist natürlich die arbeitsgleiche Gruppenarbeit. Das Lernen erfährt durch Kräfteaddition, wechselseitige Hilfe und Anregung eine Intensivierung.
- Arbeitsteilige Gruppenarbeit ist dadurch charakterisiert, dass Aufgaben z. B. bei Projekten in der Gruppe abgesprochen und verteilt erledigt werden. Das Gesamtergebnis der Gruppe wird umfangreicher und besser, als es von Einzelnen bewältigt werden könnte.
- Beim Konzept des wahldifferenzierten Unterrichts konstituiert sich die Gruppe durch ein gemeinsames Interesse an einem Thema. Die Planung der Arbeit erfolgt durch die Gruppe. Sie kann dann arbeitsteilig die zu leistenden Aufgaben erledigen. Dies ist sicher die anspruchvollste Variante kooperativen Lernens.
- Hinzuweisen ist aber auch auf neuere Formen kooperativen Lernens, die unter dem Titel „kreative Methoden“ geführt werden (Janssen, 2005, 2. Aufl.). Einige seien kurz genannt:
- Placemat Activity – gemeinsam überlegen
Wenn es um Ideenentwicklung, Meinungsbildung, Stellungnahme geht, ist dieser Ansatz gut zu gebrauchen. Auf einem gr0ßen Papierbogen/Plakat bekommt jeder Schüler der Tischgruppe ein Feld zugewiesen. Die Mitte bleibt frei. Es beginnt eine erste Phase, in der jeder zunächst allein in sein Feld Gedanken, Ideen, Assoziationen, Wissensbestände zu dem aktuellen Thema schreibt. Im Anschluss liest jeder Gruppenteilnehmer bei Drehung des Plakates die Beiträge der anderen. Jeder kann seine Eindrücke mit verabredeten Symbolen (z. B. Smileys) festhalten. Auch der Schwächere erfährt dabei Wertschätzung in Bezug auf seine Notizen. Nach der Kenntnisnahme jedes Beitrags verständigt sich die Gruppe auf ihr Gruppenergebnis, das es in der frei gebliebenen Mitte platziert. Wenn es in den Austausch in der Klasse geht, bringt jede Gruppe eine Teampräsentation ein. Dieser Ansatz sichert also Einzelüberlegung, Gruppenaustausch und Teampräsentation. - Das Schreibgespräch
Häufiger wird inzwischen wohl das Schreibgespräch, das als schriftlicher Dialog zu verstehen ist, verwendet. Lernende kommunizieren schriftlich und schweigend miteinander, um einen Meinungsaustausch zu führen oder auch eine Geschichte wechselseitig fortzusetzen. Die Schüler können in zwei Spalten nebeneinander schreiben oder in zwei verschiedenen Farben untereinander. Wenn z. B. die Frage ist: „Was verstehst du unter Gewalt?“, können sie gut Erfahrungen austauschen und Definitionsversuche anstellen. Man muss sich nicht gleich melden, sondern kann im geschützten Raum des Zweier-Schreibgesprächs Gedanken austauschen. Dann aber sollen möglichst viele Dialoge vorgelesen und besprochen werden: „Wir haben unsere Überlegungen folgendermaßen ausgetauscht und aufgeschrieben.“ Jeder kann dazu etwas sagen. Zu zweien agiert man unbefangener und mutiger. Kooperation ist hier die Stütze kognitiver Anstrengungen und gleichzeitig Ermutigung. - Die Sprechmühle
Die Sprechmühle schafft Kommunikation bei Bewegung. Die Schüler gehen auf eine Freifläche, die vorher durch Umstellen der Tische und Stühle geschaffen wurde, und spazieren wie auf einem Marktplatz. Im Hintergrund läuft Musik. Wenn die Musik stoppt, finden sich alle zu Zweiergruppen zusammen. Die Lehrerin stellt beispielsweise eine Frage zu einem Vortrag, den vorher ein Förster zur Gefährdung des Waldes gehalten hat. Die Zweiergruppen suchen nach Antworten. Mit dem erneuten Einsetzen der Musik lösen sich die Zweiergruppen auf, alle spazieren weiter bis zum nächsten Musikstopp und zu einer weiteren Frage. Drei bis vier Durchgänge sind sinnvoll. Dann findet eine Berichterstattung im Stuhlkreis statt. Bewegtes Lernen, spontaner Austausch und gemeinsames Vergewissern sind die Elemente dieser Lernform. Sie macht in der Regel Spaß und animiert zum inhaltlichen Austausch. - Das Schneeballverfahren
Das Schneeballverfahren kann alle Schüler einer Klasse in eine intensive Kommunikation führen. Das gemeinsame Nachdenken über ein Thema wie z. B. „Was halten wir von der Klimadebatte?“ oder „Was wissen wir eigentlich über den Dieselskandal?“ oder „Was ist Nächstenliebe?“ kann folgendermaßen organisiert werden: Es werden Zweier- oder Dreiergruppen gebildet. Alle Gruppen erhalten die gleiche Fragestellung. Im ersten Schritt soll jede Gruppe zu einer schriftlich festgehaltenen Antwort kommen. Anschließend sollen sich Vierer-, Fünfer- oder Sechsergruppen zusammenfinden. Die Aufgabe bleibt, aber unterschiedliche Positionen sollen zu einer gemeinsamen Stellungnahme geführt werden, wiederum schriftlich festgehalten. Dann geht es ins Plenum der Klasse zurück. Alle sind mit mancherlei Argumenten ausgerüstet. Die Diskussion kann intensiv geführt werden. Das Schneeballverfahren kann gerade auch diejenigen, die in der Regel nicht so sprachaktiv sind, helfen, sich zu äußern und zu beteiligen. - Das Blitzlicht
Bekannt und viel praktiziert ist das sog. Blitzlicht. Es ist der Versuch einer Momentaufnahme. Die augenblickliche Situation der Gruppe (Klasse) und individuelle Befindlichkeiten sollen erhellt werden: Wie interessant ist unser Thema, wie zufrieden/unzufrieden sind wir mit unserer Arbeit, welche Fragen haben wir noch, sind wir erschöpft, brauchen wir eine Pause, was muss noch geklärt werden? Konkret kann man in einem Kreisgespräch einen Gegenstand – einen Stein oder einen kleinen Ball – kreisen lassen. Wer den in der Hand hat, kann sich äußern, muss es aber auch nicht. Wer sich nicht äußern will, gibt den Gegenstand einfach weiter. Das Grundanliegen ist, emotionale Sperren, Ermüdungen, Ärger, langweilige Aufgabenerledigung aufzuhellen und abzubauen. Schon das Aussprechen ist häufig ein auflösender Faktor.
Die kurz beschriebenen Varianten kooperativen Lernens können das Lernen immer wieder dialogisch, lebendig, bewegt und kreativ machen und damit den Unterrichtsalltag beleben. Sie können der gemeinsamen Planung und Ideenentwicklung dienen, sie erlauben unterschiedliche Arbeitstempi, sie können Arbeitsergebnisse verbessern und die Beziehungsebene kultivieren.
2. Konzept: Vertragslernen
Mit dem in der Allgemeinen Didaktik noch recht fremden Begriff des Vertragslernens ist eine Realisierung schulischen Lernens gemeint, die endgültig aus der Vermittlungsdidaktik ausbricht und folgende Grundidee zu ihrem Ausgangspunkt macht: Auf dem Wege der Begründung, Offenlegung und Sinnvermittlung sind den Lernenden die Solls langjähriger Lernbemühungen zu vermitteln. In dem Maße, wie das gelingt, erfährt sich der Schüler / die Schülerin als Subjekt der eigenen Lernprozesse. Die Folge ist, dass die Lernenden aus der Lageorientierung (man muss machen, was einem gesagt wird, etwas anderes hat ohnehin keinen Zweck) in eine Handlungsorientierung wechseln können (man weiß, was wichtig ist, man muss sich wohl auch immer wieder einmal schinden, aber man kann damit fertigwerden, es gibt immer Wege erfolgreichen Lernens). Wenn man immer wieder Herr seines Lernens werden kann, bekommt man ein anderes Verhältnis zum schulischen Lernen. Vertragslernen ist also die Chance, Verabredungen zu treffen (Lernverträge), die dann wechselseitig binden. Pflichten und Freiheiten sind auf beiden Seiten (Lehrer- wie Schülerseite) ausbalanciert und können wahrgenommen wie eingefordert werden.
Wenn man für diesen Grundgedanken konkrete Konfigurationen entwickelt, kann man die Chancen dieses Ansatzes prüfen.
- Lernplan und daraus folgende Lernaktivitäten
Lehrer und Lehrerinnen stellen z. B. in einem Fach den Arbeitsplan für eine bestimmte Zeit vor. Vermittlungsphasen werden inkludiert sein, aber vornehmlich geht es um mögliche Lernwege mit entsprechenden Lernhilfen (Bücher, Internet, Lernmaterialien usw.). Es gibt täglich Lernzeiten. Die Termine für Leistungskontrollen werden auch mitgeteilt. - Lernangebote werden zur eigenverantwortlichen Verfügung bereitgestellt
Wenn Unterricht in einem größeren Rahmen in Vermittlungszeiten und Studienzeiten aufgeteilt ist (wie z. B. im Daltonplan) oder mit den bekannten Subkonzepten Wochenplanarbeit, Freie Arbeit oder Wahldifferenzierter Unterricht Lernzeit organisiert wird, ist das Zur-Verfügung-Stellen von Zeit-, Handlungs- und Materialstrukturen der eigentliche Ansatz, um die Vertragsgrundlagen von Lehrerseite zu erfüllen. Diese zweite Konfiguration ist anspruchsvoller und setzt auf gehobene Voraussetzungen. - Projektarbeit
Projektarbeit in seiner Urform hat drei Phasen. Zunächst geht es um die Projektinitiative, die von Lehrenden oder Schülern kommen kann. Ist die Projektidee akzeptiert, muss das Projekt geplant werden. Dies ist ein Anliegen der jeweiligen Projektgruppe (Klasse). Anschließend kommt es zur kooperativ gestalteten Projektdurchführung. Schließlich ergibt sich das Projektergebnis, das zu prüfen ist. In dieser Urform – häufig ergeben sich sehr viel schlichtere Projektvarianten – ist Projektarbeit eine Hochform des Vertragslernens, weil die verabschiedete Projektplanung quasi einen Arbeitsvertrag für alle Beteiligten darstellt. - Eigenständiges, selbstverantwortetes Lernen
Wenn es um individuelles Lernen geht, kann nach Vermittlungs- und Einführungsphasen ein Lernvertrag zwischen Lehrer und Schüler entstehen, der das individuelle Lernen über längere Strecken bestimmt. Ständige Lernberatung und -hilfe sowie kooperative Unterstützung durch andere Schüler und mediale Lernangebote sollten immer gegeben sein.
Eine kurze Kommentierung kann die Unterschiedlichkeiten präzisieren. Die wichtigste Konfiguration für das sog. Vertragslernen ist die erstgenannte, weil sie den Grundgedanken am besten repräsentiert. Die Offenlegung von Lehrplänen und ihre Modifikation als Lernplan schafft Transparenz, formuliert Ansprüche und gibt gleichzeitig genügend Lernhilfen. Damit kann der Lernende sein Lernen in die eigene Hand nehmen, er ist Anforderungen nicht mehr blind ausgeliefert. Vermittlungs- und Erklärungsphasen können trotzdem jederzeit eingebaut werden. Wenn dieses Lernangebot bis zu flexibel eingesetzten und organisierten Leistungskontrollen reicht, ist das Angebot perfekt. Unterricht würde sich erheblich ändern. So würde die Unterrichtswoche mit einer mehrstündigen Lernplanung beginnen, ehe in variablen Formen die Lernarbeit erfolgen würde.
Die vielfach erprobten Subkonzepte Wochenplanarbeit, Freie Arbeit und Wahldifferenzierter Unterricht sind im Kontext des Vertragslernens Kleinformen, die zeitlich begrenzt, im Umfang dosiert Lernverabredungen (Verträge) anstreben. Lernzeit wird in die Verfügung der Schüler und Schülerinnen gegeben, aber eben in jeweils sinnvollen Dimensionen. Die Grundidee aber bleibt: Eigenverantwortlichkeiten sollen sich entwickeln und Interessen Platz bekommen. Verabredungen/Verträge sichern, dass nicht irgendetwas gemacht wird (müssen wir heute wieder machen, was wir wollen?), sondern das Anspruchsniveau Zug um Zug wächst.
Die Uridee der Projektarbeit setzt genau an der Stelle an. Aber hier ist es dann eine Lerngruppe, die Probleme, Handlungsansätze findet und für wichtig erachtet, um sie in einem Projekt zu verfolgen. Es kommt zu einem gemeinsam erarbeiteten Projektplan, der dann gewissermaßen als Arbeitsvertrag gilt und die Durchführung des Projekts steuert. Jeder Arbeitsschritt, die Arbeitsteilung, das Timing, die Zwischenbilanzen und schließlich das Projektergebnis sind Anliegen der Projektgruppe. Häufiger sind in Schulen die Projektwochen „Wochen mit alternativem Unterricht“ (Kunst an Ytongsteinen, Mofas reparieren, Schachturnier u. a. m.), die nur begrenzt mit der Projektidee zu tun haben.
Die konsequenteste Variante der vierten Konfiguration findet man im Daltonplan. Lernbücher geben die Solls vor, die dann individuell variierend verfolgt werden, eine Woche vielleicht mit dem Schwerpunkt Mathematik, in einer anderen Woche mit dem Schwerpunkt Englisch. Der Lernvertrag gibt hier dem Einzelnen sehr viel Verfügung über sein Lernen. Die Annahme ist, dass bei optimal zur Verfügung gestellten Zeit- und Handlungsressourcen sowie variablen Arbeitsmöglichkeiten das Lernen erfolgreicher sein kann, als dies bei gleichmäßig fortschreitendem Lernen in der Klasse möglich ist. Freilich werden sich die Lernstände sehr unterschiedlich zeigen, sodass eine quasi stufenlose Unterrichtsorganisation schwerer zu realisieren ist.
3. Konzept: Spielen – eine Variante sozialen und kognitiven Lernens
Die Literatur zum Spiel ist umfangreich. Das Verhältnis von Spiel und Unterricht wird immer wieder strittig diskutiert, weniger im Grundschulbereich, mehr im Sekundarbereich. Lernen wird eher mit Arbeit assoziiert. Daher macht es Sinn, Chancen und Grenzen des Spiels in der Schule zu bestimmen.
Grundmerkmal des Spiels ist bekanntlich, dass es zweckfrei ist und nicht Lebensnotwendigkeiten unterliegt. Der Mensch spielt, wenn er frei von Pflichten ist, freie Zeit (Zeit der Muße) nutzen kann. Erholung, Zerstreuung, Geselligkeit stehen im Vordergrund. Spiele entwickeln dann eine Eigendynamik, sie eröffnen eine Scheinwelt abseits der vielleicht schweren Wirklichkeit. Sie haben aber ihre eigenen Regeln. Mitspieler müssen sie beachten, sonst gelingt das Spiel nicht. Beim Spiel ist der Mensch mit Kopf, Herz und Hand dabei, also ganzheitlich gefordert. Das Spiel bringt Spaß, Entspannung, insofern ist es lebensbereichernd. Spiele unterliegen aber auch längst der Kommerzialisierung und Didaktisierung und werden manchmal unter diesen Aspekten missbraucht.
Chancen des Spiels im Unterricht
Wird das Spiel im Unterricht eingesetzt, kann es eine kognitive Herausforderung sein. Es fördert auch das soziale Lernen. Gelernt wird eigentlich nebenbei, also mittelbar. Im Vordergrund stehen Spaß, Spannung, Aktivität und Geselligkeit. In aller Regel wirkt es motivierend. Die Selbsttätigkeit wird gefördert. Man muss seine Rolle, seinen Part wahrnehmen. Mut fassen, Ängste abbauen, verlieren können – das sind schon Herausforderungen. Die trockene Lernarbeit wird ergänzt, auch der notwendige Frontalunterricht wird unterbrochen. Als Nachteil könnte angemerkt werden, dass es keine vorzeigbaren Lernergebnisse bringt, auch nicht zensierbar ist. Mitunter gibt es auch die Kritik, dass Spielen zu kindisch sei und Lernzeit verloren geht.
Spielen – wann? Wo? Wie?
Wenn man aber die Lernchancen des Spiels sieht und nutzen will, kann es z. B. das Üben und Wiederholen (Lernspiele) anregend gestalten. Auch die sog. Unterhaltungsspiele schaffen Auflockerung und Spaß und haben häufig ihre eigenen Lerneffekte (z. B. Zählen bei „Mensch ärgere dich, Konzentrationsförderung bei Memorys, strategisches Verhalten bei Schach). Verhaltensweisen lassen sich über das szenische Spiel wirkungsvoll entwickeln. Die lustbetonte Auflockerung des Unterrichts ist nicht ganz unwichtig. Bewegungsspiele sind in Pausen und im Sportunterricht ein Beitrag zu ganzheitlicher Erziehung. Außerhalb (Wandertage, Klassenfahrten, Schulfeste) und natürlich auch innerhalb der Schule dienen Spiele der Stärkung der Klassen- und Schulgemeinschaft. In kulturellen Angeboten (Theater, Pantomime, Kabarett) ist das Spiel häufig essenzieller Bestandteil. Es verbessert dabei die Wahrnehmungsfähigkeiten, das Kooperationsverhalten und die verbalen wie nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler. Mitunter haben Schulen ein kleines eigenes Spielcurriculum, das in Spielstunden, Spieltagen und Spiel-AGs realisiert wird. Bei Planspielen kommen in umfassender Weise Lernen und Spiel zur Deckung. Die Grundfragen sind immer:
- Was wird gespielt?
- Warum wird gespielt?
- Welche Spiele bevorzugen die Schülerinnen und Schüler?
- Welche Vorkenntnisse und Erfahrungen haben sie?
- Sind die Spielregeln und Spielintentionen bekannt?
- Wer ist der Spielleiter (Lehrer/-in oder Schüler/-in)?
- Wie werden die Spielgruppen eingeteilt, wie werden Rollen verteilt?
- Werden Requisiten benötigt?
Interaktionsspiele fördern das soziale Lernen. Sie bieten Spaß, Spannung und auch Erholung von dem kognitiv betonten Lernen. Sie fördern die Klassengemeinschaft. Simulationsspiele beinhalten einerseits betont soziales Lernen, sie sind andererseits regelgeleitete Szenarien, die erhebliche kognitive Herausforderungen darstellen. Gelegentlich kann sich das spielerische Moment stark verflüchtigen. Szenische Spiele haben eine große Bandbreite. Sie reicht von körperbetonten Darstellungen über literarische Interpretationen bis zu größeren Partituren von Musik, Gesang und Tanz.
Spielen ist eine Grundform menschlichen Lebens. Wenn der Mensch neben der Lebenssicherung Muße findet, beginnt er zu spielen. Das Spiel ist grundsätzlich funktionsfrei, es dient der Lebensbereicherung. Auch Kinder und Jugendliche brauchen das Spiel im Rahmen ihrer Lebensgestaltung. Es bereichert, schafft Entspannung, dient der Geselligkeit, fördert Kreativität. Im Lauf der Zeit ist das Spiel aber Nützlichkeiten unterworfen worden. So wird es benutzt, um bestimmte Zwecke effektiver verfolgen zu können. Damit gerät es in Gefahr, seine Eigenständigkeit zu verlieren. Dies gilt auch, wenn es für Erziehung und Unterricht benutzt wird. Lernen wird eher mit Arbeit, Anspannung, Leistung assoziiert. Spielen ist eher das Gegenteil. Die genannten Chancen aber eröffnen ein großes Feld. Spaß, Spannung, Selbstständigkeit wie Kommunikation und Kooperation bestimmen das Spiel und so ist es ein lernförderndes Element. Mitunter aber kann es schon seine Grundmerkmale verlieren. So ist deren Wahrung immer wieder zu beachten.
4. Konzept: Stille-Übungen
In der Unruhe und Hast des Alltages kann es notwendig werden, sich an den Ansatz einer Pädagogik der Stille (Faust-Siehl, 1991, 2. Aufl.) zu erinnern, die heute fast schon wieder in Vergessenheit geraten ist. Sie basiert auf der Annahme, dass Schüler und Schülerinnen wie Erwachsene auch das Bedürfnis haben, Ruhe und Besinnlichkeit zu erleben, um dem Alltagsstress entgegenzuwirken und zu sich selbst zu kommen. Stille-Übungen sind dann wichtig. Sie dürfen aber nicht zur Disziplinierung eingesetzt werden.
Eine Stille-Übung wird in 5 Phasen unterteilt.
- Einladung – die innere Bereitschaft wecken
In langsamen Schritten werden Geborgenheit und Vertrauen geschaffen. Ein bekanntes Zeichen, ein Lied, ein Tanz oder eine mündliche Einladung stehen am Anfang. Dies markiert immer wieder den Anfang einer Stille-Übung. - Bei mir ankommen – mich selbst entdecken
Anliegen ist es dann, alle Sinne zu wecken, um die Vielfalt von Erfahrungsmöglichkeiten zu erkennen: Ich versuche wahrzunehmen, wie ich fühle, wie ich denke, wie ich atme usw. Die innere Stille ist nichts Bedrohliches, das sollen die Kinder und Jugendlichen erfahren. Atem- und Körperübungen können hier helfen. - Mich der Stille öffnen
Wenn man die Phasen eins und zwei durchlebt hat, kann man sich auf die Stille einlassen. Auch der oder die Anleitende muss die innere Ruhe zeigen. Phantasiereisen können hier eine Leitfunktion übernehmen. Dazu gleich ein Beispiel. - Mich mitteilen – Erfahrungen ausdrücken
Zu den Stille-Übungen gehört es, das Erlebte auszudrücken: Man kann etwas malen, ein Mandala legen, mit formbaren Materialien hantieren, kleine Texte schreiben, Bewegungen ausführen oder sich im Gespräch äußern. Das „Gefühl“ der Reise soll sich reproduzieren. - Abschluss: nach außen gehen
Auch der Abschluss sollte eine Art Ritual sein, damit der Übergang von leise zu wieder laut gelingt: zum Lernen, Spielen, Essen u. a. m. Das kann ein Spruch, ein Lied, ein Tanz oder eine andere Bewegungsübung sein.
Wenigstens ein Beispiel für eine Phantasiereise:
Fußwanderung
Ich lade euch ein, eine kleine Wanderung mit mir zu machen. Schließt die Augen und folgt mir. Wir gehen aus der Haustür und die Stufen hinunter auf die Straße. Zunächst schlendern wir ganz gemütlich einige Meter an den Schaufenstern vorbei.
Damit wir die Stadt hinter uns lassen können, gehen wir etwas schneller. Wie schön, der Waldweg beginnt. Wir gehen wieder etwas langsamer und rollen unsere Füße gut ab. Wir spüren den weichen Boden unter unseren Füßen. Da kommt ein ziemlich steiler Berg. Wir müssen uns ganz schön mühen und unsere Schritte werden schwerer und schwerer.
Bergab geht es viel leichter. Wir kommen an einen kleinen Bach, den wir überqueren müssen. Spitze Steine liegen am Ufer, die ganz schön wehtun. Wir vermeiden sie und suchen uns größere Steine zum Auftreten. Von Stein zu Stein geht es weiter.
Oh, hier hören plötzlich die Steine auf. Aber das Wasser ist nicht tief, wir können ruhig durch das flache Wasser waten. Na, nun wird es doch etwas tiefer, wir müssen auf Zehenspitzen gehen, damit unsere Kleidung nicht nass wird. Nun sind wir schon durch den Bach hindurch, aber matschig ist es noch immer. Wir sacken bei jedem Schritt richtig ein und haben Mühe, jeden Fuß wieder herauszuziehen.
Geschafft! Es ist wieder trocken. Bevor wir weitergehen, schütteln wir Füße und Beine kräftig, damit der Matsch abgeht. Wir kommen wieder auf einen festeren Weg und sehen die Stadt vor uns. Den Rest der Strecke laufen wir.
Dort ist schon unser Haus. Wir werden langsamer, steigen die Treppe vor der Haustür hoch und freuen uns auf ein Fußbad.
Die Phantasiereise weckt Erfahrungen, führt zu sinnlichen Erinnerungen und lässt den Alltag außen vor. Entspannung und Ruhe treten ein, ehe alles besprochen werden kann (wie war es mit den nassen Füßen?) und es wieder in den Alltag geht.
5. Konzept: Streitschlichtung
Der Schulalltag ist nicht immer durch Friedlichkeit und Freundlichkeit bestimmt. Immer wieder gibt es Streit, mal wegen Kleinigkeiten, mal mit ernsterem Hintergrund. In mannigfacher Erprobung hat sich ein Konzept herausgebildet, das Streitschlichtung unter Schülern und Schülerinnen vorsieht. In Seminaren/Trainingskursen wurden Schüler und Schülerinnen zu Schlichtern ausgebildet, um Alltagsstreitereien bereinigen zu können. Die Prämissen sind, dass die Schlichtung nicht nach dem Muster „Sieger/Verlierer“ verlaufen darf, dass jeder in der Situation bleiben muss, dass Vertrauen und Verständigung wichtige Elemente sind, dass Versöhnung und Wiedergutmachung/Ausgleich Streit auflösen können, dass aber auch mit Konsequenz Vereinbarungen erzielt und schriftlich festgehalten werden müssen. Dies alles zu praktizieren, muss man wohl erst lernen. Mit folgendem Leitfaden kann das Konzept konkret beschrieben werden.
Leitfaden für die Streitschlichtung
- Schritt: Schlichtung einleiten
Die Beteiligten stellen sich vor.
Die Schlichterin / der Schlichter stellt sich vor und bietet Hilfe an.
Das Ziel des Gesprächs wird verdeutlicht: Es wird eine Lösung gesucht, die beide Seiten zufriedenstellt.
Die Schlichterin / der Schlichter sichert Vertraulichkeit und Neutralität zu.
Die nächsten Schritte werden erklärt: Standpunkte vortragen, Lösungen suchen, Verständigung finden, schriftliche Vereinbarung treffen.
Wichtige Regeln werden erklärt, die „Streithähne“ geben ihr Einverständnis. Die Regeln lauten: sich nicht unterbrechen, sich nicht beschimpfen, evtl. eigene Gedanken notieren.
Es wird geklärt, wer anfängt zu erzählen. Die Reihenfolge wird nach Absprache festgelegt oder ausgelost, wenn sich die Kontrahenten nicht einigen können. - Schritt: Standpunkte vortragen
Die Konfliktparteien tragen nacheinander ihre Standpunkte vor.
Die Schlichterin / der Schlichter wiederholt und fasst zusammen. Sie/er sollte die Zusammenfassung möglichst mit den Worten der Kontrahenten formulieren.
Impuls am Schluss: War das so?
Es wird über Motive und Gefühle gesprochen. Impulse dabei: Warum hast du …? Was hast du gedacht, als …?
Hinweis: Die Kontrahenten sollen sich dabei auf den aktuellen Konflikt beschränken.
Dann wird über die augenblickliche Befindlichkeit/Stimmung gesprochen. Impuls dafür: Wir kommen ein Stück weiter, wenn ihr sagen könnt, wie es euch jetzt geht.
Die eigenen Anteile am Konflikt sollen erkannt und genannt werden. Impuls: Könntest du sagen, was du zum Konflikt beigetragen hast (durch Bemerkungen, Lachen, Drohen usw.)?
Übergang zum nächsten Schritt: Nun wollen wir überlegen, wie das gegenseitige Unrecht wiedergutzumachen ist.
Hinweis: Der Rückgang auf Einzelgespräche mit den Kontrahenten sollte nur erfolgen, wenn die Diskussion zu hitzig wird, sie außer Kontrolle gerät, einer nicht offen sprechen kann oder will, Regeln nicht eingehalten werden. - Schritt: Lösungen und Verständigung finden
Es werden erst einmal mögliche Lösungen gesammelt.
Die Kontrahenten schreiben ihre Vorschläge auf Kärtchen auf.
Impulse: Was bin ich bereit zu tun? Was erwarte ich vom anderen?
Die Vorschläge werden vorgestellt und gemeinsam bewertet.
Die infrage kommenden Lösungen werden diskutiert.
Für die beste wird das Einverständnis der Kontrahenten gesucht. - Schritt: Vereinbarung schriftlich festhalten
Die schriftliche Vereinbarung wird konkret formuliert: wer was wann tun will!
Aufschreiben, was passiert, wenn eine Partei ihre Pflicht nicht erfüllt.
Dabei sind einfache, neutrale Wörter zu wählen (keine Beschuldigungen).
Die Schlichterin / der Schlichter liest die Vereinbarung laut vor.
Alle prüfen, ob etwas verändert oder ergänzt werden muss.
Alle Beteiligten unterschreiben die Vereinbarung.
Jeder bekommt eine Kopie, eine wird im „Schlichtungsordner“ abgeheftet.
Sollte im Verlauf des Gesprächs keine Lösung des Konflikts gefunden werden können, kann ein neuer Termin vereinbart oder eine Lehrkraft des Vertrauens hinzugezogen werden.
Dieses Konzept zielt auf eine aktive Beteiligung von Schülern und Schülerinnen bei der Streitschlichtung. Es ist nach allen Erfahrungen recht anspruchsvoll, nimmt aber Heranwachsende in die Pflicht, ein erfreuliches Miteinander anzustreben. Schüler und Schülerinnen nehmen verantwortungsvolle Aufgaben sehr ernst.
6. Konzept: Kontaktschüler und -schülerinnen
Mindestens ebenso interessant wie das Konzept der Streitschlichtung ist das Konzept der Kontaktschüler und -schülerinnen, weil es ein präventiver Ansatz ist. Konfliktlotsen oder Streitschlichter kommen zum Einsatz, wenn schon etwas passiert ist. Die Situation ist dann häufig schwierig und auch leicht überfordernd. Die jetzt zur Rede stehende Alternative ist folgendermaßen zu beschreiben:
Angelehnt an die Arbeit von streetworkern werden Schüler und Schülerinnen unter dem Motto „Grenzen setzen – Räume öffnen“ unter professioneller Leitung darauf vorbereitet, in Schulbussen, in den Pausen und bei Ganztagsschulen am Mittag und Nachmittag als Duo durch das Schulgebäude und Schulgelände zu gehen, um möglichst da zu sein, wenn es zu Streit, Drängeleien, Beschimpfungen u.a.m. kommt. Sie tragen ein auffallend buntes T-Shirt und sind also schnell in ihrer Funktion zu erkennen. Sie sollen positive Kontakte knüpfen, Beziehungen pflegen, damit Streit gar nicht erst entsteht. Sie sind nicht Hilfssheriffs und üben kein Hausrecht aus. Aber sie sind gewissermaßen frühe Friedensstifter in sich möglicherweise zuspitzenden Situationen. Am besten kann man sich ihre Tätigkeit bei der Fahrt zur Schule in Schulbussen vorstellen. Sie können das Einsteigen so organisieren, dass möglichst keine Drängelei entsteht. Während der Busfahrt können sie die Belegung der Sitzplätze regeln. Beim Ausstieg bekommt ihre Tätigkeit auch noch einmal Bedeutung. Situative Interventionen mit aller Freundlichkeit, aber auch Entschiedenheit sind der generelle Auftrag. Im Lauf der Zeit können sie auch rückmelden, wo immer wieder kritische Situationen entstehen und Vorschläge für organisatorische Verbesserungen machen, z. B. beim Mittagessen in der Mensa, beim Anstellen und Platz suchen.
Schluss
Die Verbesserung friedvollen und freundlichen Zusammenlebens mag immer wieder nur schwer gelingen. Sie ist aber für eine gesunde Entwicklung der Heranwachsenden von großer Bedeutung. Die vorstehend beschriebenen Konzepte sozialen Lernens mögen auf den ersten Blick als partielle Aktivitäten erscheinen, die strukturelle Verursachungen unangenehmen Lernens in der Schule nicht groß verändern können. Sie sind aber unterschiedliche Ansätze, die Gemeinsamkeit erfreulicher gestalten helfen. Und sie setzen auf Schüler und Schülerinnen, die durch aktive Beteiligung Veränderungen bewirken können. So gesehen können die beschriebenen Konzepte als multifaktorieller Aktionsrahmen verstanden werden, der Verhalten zum Guten verändern kann.
Manfred Bönsch
Literatur
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Krysmanski, H.J.: Soziologie des Konflikts, Reinbek, 1971
Maschwitz, G. u. R.: Stilleübungen mit Kindern, München, 1993
Müller, Chr./Dinter, A.: Bewegte Schule für alle, Baden-Baden, 2020, 2. Aufl.
Scheuerl, H.: Das Spiel, Weinheim und Basel, 1991, 11. Aufl.
Simsa, Ch.: Mediation an Schulen, Neuwied, 2001