LuSh – Ausgabe 03-04/2021 – VBE-Bund – Das Recht auf Bildung im digitalen Raum
Das Recht auf Bildung im digitalen Raum
Als die Rechte des Kindes durch die Vereinten Nationen 1989 beschlossen wurden, existierte der digitale Raum zwar bereits, jedoch war dieser weder einer breiten Allgemeinheit zugänglich, noch verfügte er über die heute bekannte Vielzahl und Vielfalt an Möglichkeiten, sich zu informieren, miteinander zu kommunizieren oder kulturelle Angebote zu nutzen. Auch waren die Potenziale des Internets sowie digitaler Umgebungen für die Bildung für viele noch nicht vorstellbar. Dies hat sich in den vergangenen Jahren grundsätzlich geändert und viele Staaten haben die Chancen des Digitalen für die Bildung erkannt und ergriffen. Später als andere hat sich die Bundesrepublik auf diesen Weg begeben und im Herbst 2018 zunächst das Grundgesetz geändert sowie im Frühjahr 2019 den Digitalpakt Schule auf den Weg gebracht, um die Länder bei der Digitalisierung des Schulsystems unterstützen zu können. Nur wenige Monate danach entwickelte sich eine Pandemie, die seitdem den Transformationsdruck auf unser Bildungssystem hin zum Digitalen massiv erhöht hat.
Bereits zuvor begann der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, die nunmehr 25. Allgemeine Bemerkung zu erarbeiten, welche die Kinderrechte im digitalen Raum adressieren wird. Der UN-Ausschuss nimmt das Internet, mobile Technologien und digitale Netzwerke, Inhalte, Dienste sowie Anwendungen, virtuelle und erweiterte Realitäten sowie künstliche Intelligenz und noch viel mehr in den Blick, um zu klären, wie Kinderrechte durch diese befördert oder beeinträchtigt werden können. Dabei wird er von der Erkenntnis geleitet, dass das Wissen um sowie der Zugang zu digitalen Technologien und dem Internet entscheidend für das Aufwachsen und die Teilhabe von Kindern sind, und will mit dem Dokument dazu beitragen, dass die Rechte des Kindes in der digitalen Welt respektiert, geschützt und verwirklicht werden. Den Ausschussmitgliedern ist bewusst, dass Ungleichheiten in der Nutzung des digitalen Raums sowie der Wahrnehmung seiner Möglichkeiten bestehen. Sie äußern die Sorge, dass eine misslingende digitale Inklusion zu einer weiteren Vertiefung dieser bestehenden Ungleichheiten führen wird. Ebenso hebt der UN-Ausschuss hervor, dass neben den Chancen und Potenzialen für Kinder und ihre Rechte bei einer sinnvollen Nutzung des digitalen Raums auch Risiken und Gefährdungen durch diesen bestehen – selbst dann, wenn Kinder nicht selbst im Internet aktiv sind.
Aspekte digitaler Bildung
Deutlich formulieren die Ausschussmitglieder, dass digitale Umgebungen über das Potenzial verfügen, den Zugang zu hochwertiger Bildung für Kinder sowohl hinsichtlich des formellen wie auch des informellen Lernens zu ermöglichen und zu verbessern. Auch die Chancen des selbstbestimmten und des Peer-to-Peer-Lernens sowie der Partizipation an außerschulischen Aktivitäten erweitern sich und eröffnen neue Möglichkeiten. Dies kann Kinder dabei unterstützen, sich mit ihren eigenen kreativen und kulturellen Praktiken auseinanderzusetzen und etwas über die anderer zu lernen. Nahezu unnötig erscheint es, darauf hinzuweisen, dass digitale Bildungstechnologien die Teilhabe am Unterricht für Kinder ermöglichen, die nicht vor Ort in der Schule sein können.
Vor diesem Hintergrund wird der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Staaten auffordern, das Lernen mittels Internets und digitaler Technologien zu befördern. Diese sieht er in der Verantwortung, weiter in die technologische Infrastruktur der Schulen zu investieren. Insbesondere dem Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl von Endgeräten, wie Computern, Laptops oder Tablets, sowie einer Verbindung mit dem Internet, die den entsprechenden Belastungen gewachsen sein wird, räumt der Ausschuss Bedeutung ein. Als nicht weniger zentral werden auch die Kompetenzen der Lehrkräfte, mit diesen digitalen Bildungstechnologien umzugehen, sowie die Instandhaltung der Technik erachtet. Daneben sollen die Staaten die Entwicklung, Bekanntmachung und Anwendung vielfältiger sowie pädagogisch wertvoller digitaler Bildungsressourcen unterstützen und dabei berücksichtigen, dass die Erreichbarkeit dieser Angebote für alle gewährleistet werden muss, um bestehende Ungleichheiten nicht weiter zu vertiefen. Dies verstärkend sollten Schulen auch in die Lage versetzt werden, Eltern auf die Beschulung ihrer Kinder via Homeschooling vorzubereiten und ihnen Unterstützung bei der Anwendung von digitalen Lernumgebungen geben zu können.
Um Kinder für die eigenständige Nutzung des digitalen Raums zu befähigen, sollte sichergestellt werden, dass die Vermittlung digitaler Kompetenzen in die Lehrpläne für die Grundbildung aufgenommen wird. Demnach sollten junge Menschen in der Lage sein, mit einer Vielzahl verschiedener digitaler Werkzeuge und Ressourcen umzugehen, und erlernen, das Internet auch für die Zusammenarbeit mit anderen, die Erstellung eigener Inhalte und das aktive Einbringen in unsere Gesellschaft anzuwenden. Teil dieser Medienkompetenzbildung müsse auch die kritische Reflexion von Inhalten, die Nutzung digitaler Möglichkeiten für die Realisierung der eigenen Rechte sowie die Kenntnis von entsprechenden Unterstützungssystemen sein. In diesem Zusammenhang gilt es, das Bewusstsein der Kinder sowohl für Risiken, welche durch potenziell schädliche Inhalte, Kontakte und Verhaltensweisen hervorgerufen werden können, als auch für entsprechende Bewältigungsstrategien zur Minimierung von Verletzungen und zur Stärkung der Resilienz von Kindern zu fördern. Ebenso sollen Kinder hinsichtlich der Funktionsweisen des digitalen Raums aufgeklärt werden, um Verständnis bspw. für die automatisierte Verarbeitung persönlicher Daten entwickeln zu können.
Um sicherzustellen, dass durch den Einsatz digitaler Technologien im Unterricht die Rechte der Kinder gestärkt und nicht verletzt werden, sind entsprechende Richtlinien zum Schutz der Daten sowie der Privatsphäre der Kinder zu erarbeiten und einzuhalten. So wäre es fatal, wenn Kinder in diesem Kontext Gewalt, Diskriminierung, dem Missbrauch ihrer persönlichen Daten, kommerzieller Ausbeutung oder anderen Verletzungen ihrer Rechte ausgesetzt wären.
Bedeutung Allgemeiner Bemerkungen und zivilgesellschaftliche Beteiligung
Im Sommer 2020 hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes seinen Entwurf für die Allgemeine Bemerkung zu Kinderrechten im digitalen Raum veröffentlicht. Für die Formulierung des Entwurfes griffen die Mitglieder des UN-Ausschusses u. a. auf ihre Erkenntnisse aus den Beratungen der Staatenberichte zurück, führten internationale Konsultationen mit Expertinnen und Experten sowie Interessenvertreterinnen und -vertretern durch und beteiligten 709 Kinder aus 28 Staaten. Allgemeine Bemerkungen sind nicht Teil der völkerrechtlichen Verträge und daher nicht rechtlich bindend. Gleichwohl helfen sie den Staaten beim Verständnis sowie bei der Verwirklichung der Kinderrechte, da sie wichtige Hinweise und Auslegungen bieten.
Mit der Veröffentlichung seines Entwurfes verband der UN-Ausschuss die Möglichkeit, ihm Positionen und Stellungnahmen dazu zukommen zu lassen. Um dem nachzukommen, hat die Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerks Organisationen, Einrichtungen und Institutionen zur Gründung eines Kreises von Expertinnen und Experten für Kinderrechte in der digitalen Welt eingeladen. In Arbeitsgruppen mit verschiedenen Themenschwerpunkten bewerteten und diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Entwurf des UN-Ausschusses. Ein Steuerungskreis führte die Hinweise und Anmerkungen zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammen.
Insgesamt kamen die Beteiligten des Konsultationsprozesses zu der Einschätzung, dass der Entwurf die relevanten kinderrechtlichen Aspekte bei Betrachtung des digitalen Raums mit all seinen Facetten bereits sehr umfassend abbildet. Angeregt wurde gleichwohl, die Interdependenz von analogem und digitalem Umfeld stärker zu betonen und auf die Wechselwirkungen zwischen diesen Umgebungen hinzuweisen. Sie machten darauf aufmerksam, dass die digitale Umgebung die analoge Welt immer stärker beeinflusst und durchdringt. Wichtig war ihnen ebenso, hervorzuheben, dass die digitale Umgebung sowohl eine Erweiterung als auch eine Ergänzung der analogen Umgebung darstellt, die von Kindern vielfach schon nicht mehr unterschieden wird. Mit Blick auf das Recht auf Bildung gaben die Beteiligten den Mitgliedern des UN-Ausschusses konkret mit auf den Weg, auch die frühkindliche Bildung mit in den Blick zu nehmen. Da Kinder sehr früh mit digitalen Technologien und dem Internet in Berührung kommen, erschien es ihnen wichtig, dass Medienkompetenzbildung frühzeitig einsetzen sollte.
Abschließend wurde die Aktualisierung der UN-Kinderrechtskonvention durch ein Fakultativprotokoll zu den Kinderrechten in Bezug auf die digitale Welt empfohlen, um eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung zu erreichen. Zum Sommer 2021 wird die Verabschiedung der 25. Allgemeinen Bemerkung erwartet. Der Kreis der Expertinnen und Experten für Kinderrechte in der digitalen Welt bei der Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerks wird sich dafür einsetzen, diese bekannt zu machen, und darauf hinwirken, dass die Pflichten im Bereich der Kinderrechte Berücksichtigung finden und bei Gesetzesänderungen mit nachvollzogen werden.
Weiterführende Informationen:
CRC (2020): Draft General Comment No. 25 (202x). Children’s rights in relation to the digital environment. Committee of the Rights of the Child. 13. August 2020. https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRC/C/GC/25&Lang=en (Abruf am 21.12.2020)
DKHW (2020): Comment on the General Comment on children’s rights in relation to the digital environment. Deutsches Kinderhilfswerk e. V. 13. November 2020.
https://www.dkhw.de/fileadmin/Redaktion/1_Unsere_Arbeit/1_Schwerpunkte/2_Kinderrechte/2.14_Koordinierungsstelle_Kinderrechte/2.14.1_Kinderrechte_in_der_digitalen_Welt/Comment_UNCRC_GC25.pdf (Abruf am 23.12.2020)
Informationen und Kontakt zum Autor:
Torsten Krause arbeitet als Politik- und Kinderrechtswissenschaftler in der Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerk e. V. Als Referent ist er für den Bereich Medienpolitik zuständig.
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