Vorwort von Lisa Brausch in der neuen Mai-Ausgabe der SLLV-Zeitschrift „Lehrer und Schule heute“
Vorwort Mai 2020
Coronakrise – prall gefüllte Leer- und Lehrzeit
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit Mitte März steht die Welt still. Die schnelle Verbreitung des Coronavirus hat sie zum Erliegen gebracht. Umgehend wurde deutlich, welche große Verantwortung in der für uns alle so belastenden Zeit bei den Schulen liegt. Es zeigt sich deutlich, dass neben dem Bildungs- und Erziehungsauftrag die Betreuung eine große Aufgabe von Schulen ist, die oft vergessen wird. Insofern sind Schulen systemrelevant, was in dieser Prägnanz – so glaube ich zumindest – vielen bis dahin nicht klar war. Eltern, die ihre Kinder zuhause betreuen, werden hoffentlich auch vorsichtiger werden mit Aussagen wie: „Was leisten denn die Lehrer, das bisschen Rechnen. Lesen und Singen … und sechs Wochen frei im Sommer….“. Sie erleben jetzt, dass es ein didaktisch-pädagogisches Handwerkszeug braucht, um Schülerinnen und Schüler zu motivieren, sie bei der Stange zu halten und ihnen wichtige Erarbeitungsmethoden an die Hand zu geben.
Die Schulleitungen stehen unter besonderem Druck in dieser Zeit, ein „Rund-um-die Uhr-Service“ ist erforderlich, um die Vielzahl der Rundschreiben nicht aus den Augen zu verlieren und die erwarteten Maßnahmen zu treffen.
In dieser besonderen Zeit zeigen sich Lehrerinnen und Lehrer äußerst kreativ, wenn es um die Kontaktaufnahme mit ihren Schülerinnen und Schülern, aber auch um das Anfertigen von Lernmaterialien für das Lernen zuhause geht. Sie verlieren nicht aus dem Blick, wie unterschiedlich die häuslichen Voraussetzungen sind und passen ihre Aufgabenformate dementsprechend sehr individuell an. Dabei haben sie einen besonderen Blick auf die Kinder aus prekären Verhältnissen.
Aber es zeigen sich dann hier mehr denn je die Lücken und Baustellen im System. So scheitern digitale Kontaktaufnahmen an der Ausstattung. Schlechtes W-Lan, fehlende oder unzureichende Endgeräte lassen oft nicht zu, die unendlich vielen digitalen Möglichkeiten zu nutzen. Hier rächen sich die Sünden der Vergangenheit. Längst hätten die digitalen Strukturen ausgebaut werden müssen. Ohne private Endgeräte würde das digitale Arbeiten gänzlich zusammenbrechen.
Genauso wird auch deutlich, dass das Ausbleiben der von uns so oft geforderten Verbesserungen im Bereich der Schulleitungen sich jetzt negativ auswirken. Schulen ohne Konrektor, ohne Verwaltungskraft gibt es immer noch! Die große Aufgabenbreite zwingt auch die motiviertesten Schulleitungen in die Knie, wenn sie diese alleine stemmen sollen. Auch die Gesamtverantwortung für die Sicherheit zu tragen, lastet auf ihnen schwer.
Außerdem wird klar und deutlich, dass gerade die Lehrkräfte mit der höchsten Unterrichtsverpflichtung und dem geringsten Gehalt die größte Last tragen. Logischerweise ist -aufgrund des Alters – die Anzahl der Kinder in der Notbetreuung dort am höchsten. Dies bedeutet eine hohe Präsenzpflicht in den Schulen neben der Betreuung der Schülerinnen und Schüler zuhause. Wann geht es denn endlich in die Köpfe der PolitikerInnen, dass die Arbeit an Grundschulen gleichwertig zu der an anderen Schulformen ist? Vielleicht jetzt!
Mit großer Sorge blicken wir auch auf die in einer Woche geplante schrittweise Wiedereröffnung der Schulen. Es stellt sich die Frage, ob wirklich alle Prüfungen abgeleistet werden müssen und ob der Wiedereinstieg mit dem vierten Schuljahr und das zeitgleiche Ausweiten der Notbetreuung personalisierbar und verantwortbar ist. Noch wissen selbst die Virologen nicht, wie groß die Übertragungsgefahr von Kindern auf Erwachsene ist. Und nehmen diese Neun- und Zehnjährigen nicht vielleicht größeren Schaden, wenn ihnen durch die hohen Sicherheitsmaßnahmen, die der Hygieneplan erfordert, ihr positives Bild von Schule genommen wird? Die Bewegungsfreiheit wird massiv eingeschränkt und trotzdem kann und wird es nicht gelingen, dass diese Schülerinnen und Schüler über den ganzen Schulmorgen hinweg die Hygiene- und Abstandsregeln einhalten werden. Ist es das wirklich wert? Wir alle wissen, dass die Viertklässler nach ihrer Empfehlung zum Schulhalbjahr im letzten halben Jahr schon ein wenig mit der Grundschule abgeschlossen haben. Die Betreuung zuhause hat in der Regel gut funktioniert. Sollen sie dieses eingeschränkte Schulleben als letzte Erinnerung an ihre Grundschulzeit behalten?
„Abitur bestanden- Oma tot!“ – so lautet die provokante Botschaft eines Plakates der vor dem Bildungsministerium demonstrierenden Abiturienten. Es hört sich hart an, bringt aber die Sorgen auf den Punkt. Wenn es auch nachvollziehbar ist, dass das Saarland die Prüfungen aufgrund der Absprache in der KMK durchführen wird, bleibt doch eine große Verunsicherung.
Fakt ist, dass es auch für die Zeit nach Corona eine große Herausforderung sein wird, all das aufzuarbeiten, was an emotionalem Schaden bei den uns anvertrauten Schülerinnen und Schülern entstanden ist.
Wenn vereinzelte Bundes- oder Landespolitiker meinen, dass man dazu doch die Sommerferien nutzen sollte, kann ich nur feststellen, dass diese das, was in den Schulen seit Mitte März – auch in den Osterferien – gelaufen ist, vollkommen aus den Augen verloren haben. Was wir brauchen, sind längerfristige Verbesserungen im System und nicht verkürzte Ferien für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte, die ihren Aufgaben – wenn auch in veränderter Form– die ganze Zeit nachgegangen sind.
Für uns als Ihre Lehrergewerkschaft wird es oberste Priorität haben, weiterhin in bekannt klarer Manier den Finger in die Wunde der Bildungspolitik zu legen und für Verbesserungen zu kämpfen.
In dieser aufwühlenden Zeit sollten wir aber auch positiv benennen, dass im Ministerium bis zum Anschlag gearbeitet wird, auch wenn wir nicht immer mit der zeitnahen Transparenz zufrieden sind. Unglücklich ist es, wenn diejenigen, die für die Umsetzung der Maßnahmen verantwortlich sind, Informationen aus den sozialen Netzwerken erfahren, welche eigentlich zuerst in ihre Hände gehört hätten. Dies haben wir den Verantwortlichen auch mitgeteilt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen von Herzen viel Kraft für diese großen Herausforderungen, die diese schwierige Zeit mit sich bringen und vor allem: Bleiben Sie gesund!
Ihre
Lisa Brausch